JULIA FESTIVAL Band 84
locker. „Hoffentlich bist du nicht so engstirnig und selbstsüchtig, dass du bei dieser ersten Begegnung über deine Probleme klagst. Damit würdest du Miss Palmer alles verderben. Für sie erfüllt sich am Samstag ein Traum.“
„Ein Traum?“
„Sie hat sich mit den Fotos ein Idealbild von dir geschaffen, Kimberly. Ich möchte, dass sie stolz auf dich ist, wie du jetzt bist. Das schuldest du wohl der Mutter, die dich geliebt und für dich gesorgt hat, seit du ein Baby warst. Zeig Miss Palmer, wie gut deine Mom dich großgezogen hat.“
Kimberly runzelte die Stirn. „Mom hätte doch gewiss nichts dagegen, dass ich meine leibliche Mutter kennenlerne, stimmt’s, Onkel Anthony? Ich meine, Mom hat ihr die Fotos geschickt. Dann muss sie gewollt haben, dass Miss Palmer sieht, wie ich aufwachse.“
„Ich glaube, deine Mom hätte diesem Treffen zugestimmt. Und sie hätte sich gewünscht, dass Miss Palmer dich kennenlernt, deine guten Manieren bewundert und sagt, sie hätte es nicht besser machen können als deine Mom. Du weißt, wie viel Wert sie darauf gelegt hat, dass du dich gut benimmst und freundlich zu anderen Menschen bist.“
Tränen schimmerten in Kimberlys Augen. „Ich werde artig sein, Onkel Anthony.“ Sie stand auf, kam zu ihm, setzte sich auf seinen Schoß und legte ihm die Arme um den Nacken. „Ich benehme mich so, dass Mom stolz auf mich wäre. Ich verspreche es.“
Anthony drückte Kimberly an sich, gerührt über die Zuneigung des Kindes. Er liebte seine Nichte. Sie war die einzige Verwandte, die ihm geblieben war, und sie gehörten zusammen. Aber Meredith Palmer hatte niemals aufgehört, die Tochter zu lieben, die sie hergegeben hatte, und daran würde er von jetzt an jedes Mal denken müssen, wenn er Kimberly ansah. Er hatte das Gefühl, in einer hoffnungslosen Zwickmühle zu sein.
„Deine richtige Mutter wird dich wundervoll finden“, flüsterte er. „Das schönste Weihnachtsgeschenk, das sie jemals bekommen hat.“
Kimberly seufzte laut. „Ich wünsche mir so sehr, dass sie mich mag.“
„Wird sie. Und jetzt solltest du besser ins Bett gehen.“
„Gute Nacht, Onkel Anthony. Und danke für alles.“ Kimberly küsste ihn flüchtig auf die Wange, stand auf und ging hinaus. Im Flur blieb sie stehen und sagte: „Für mich wird auch ein Traum wahr. Ich träume von meiner richtigen Mutter, seit ich weiß, dass ich adoptiert worden bin.“ Kimberly wartete nicht auf eine Antwort, sondern lief weiter in ihr Zimmer.
Anthony blieb auf dem Sofa sitzen und dachte an seine Träume. Wie hatte sein Unterbewusstsein das Bild von Meredith Parker heraufbeschworen? Vielleicht hatte er irgendwann einmal ein Foto von ihr gesehen. Wenn seine Schwester sie gekannt hatte, könnte sie eins von ihr gehabt haben.
Aber warum erinnerte er sich nicht daran? Außerdem hatte Denise jahrzehntelang begeistert fotografiert und alle Frauen in ihrem Bekannten- und Freundeskreis aufgenommen. Warum sollte ausgerechnet Meredith Palmer die Frau geworden sein, die ihn in seinen Träumen rief, aber immer unerreichbar blieb?
Anthony hatte geglaubt, diese Traumfrau wäre ein Symbol für seine Enttäuschung darüber, dass er nicht die Frau fürs Leben finden konnte. Und auch ein Symbol für die Hoffnung, dass es dort draußen in der Welt eine gab, die auf ihn wartete und die er finden würde, wenn er nur lange genug suchte.
Dass diese Phantasiegestalt wirklich existierte, war jedoch … Anthony biss die Zähne zusammen. Nein, er würde nicht anfangen, diesen übernatürlichen Kram in Betracht zu ziehen. Es musste eine logische Erklärung geben. Und die Wirkung, die Meredith Palmer auf ihn hatte … Jeder wäre wohl schockiert und verwirrt, wenn er plötzlich einem Traumbild gegenüberstehen würde. Am Samstag würde Meredith Palmer schon nicht mehr so viel Macht über ihn haben.
Entschlossen verdrängte Anthony die Gedanken an Meredith Palmer und ging zum Telefon in der Küche. Es war fast elf Uhr, doch er wusste, dass Rachel selten vor Mitternacht ins Bett kam. Außerdem hatte sie darum gebeten, dass er zurückrief.
Als sie sich meldete, ertappte sich Anthony dabei, ihre energische, harte Stimme mit der weichen, melodischen Meredith Palmers zu vergleichen. „Hier ist Anthony“, sagte er schnell, wütend auf sich selbst.
„Wie schön! Ich bin so froh, dass du zurückrufst“, sagte Rachel herzlich.
Seine Laune besserte sich trotzdem nicht.
„Ich habe eine Einladung. Cocktails auf Harvey Sinclairs Yacht.
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