Julia Festival Band 86
entzifferte er die Zahlen auf seiner Armbanduhr. Erst elf Uhr fünfundzwanzig? Unglaublich! Er hatte gerade erst zwei Stunden geschlafen. Müde lehnte er sich zurück. Noch zwei Stunden, und ich ende als der Traum eines jeden Chiropraktikers, dachte er.
Ach, wem zum Teufel versuche ich hier etwas weiszumachen? Noch zwei Minuten, und ich werde verrückt. Weder der Schaukelstuhl noch die nächtliche Kühle oder das leise Geräusch des Regens waren der Grund dafür, dass er aus einem schönen Traum aufgewacht war.
Der Grund hieß schlicht und ergreifend Annie. Chase seufzte.
„Chase?“ Das war Annies Stimme, leise und schlaftrunken. „Chase, bist du wach?“
Er hörte das Rascheln des Bettzeugs, als sie sich zu ihm drehte. In der Dunkelheit wirkte ihr Gesicht wie ein perfektes Oval, die Augen groß und glänzend, und das wellige Haar, das ihr Gesicht umrahmte, fiel ihr sanft auf die Schultern. Wie gerne Chase sie immer dorthin geküsst hatte, auf diese seidenweiche Stelle, wo der Hals in die Schulter überging.
Chase räusperte sich. „Tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe.“
„Nein, hast du nicht. Ich hatte bloß einen dummen Traum …“ Annie unterbrach sich. Glücklicherweise war es dunkel, sodass Chase nicht sehen konnte, wie ihr die Wangen brannten. Ganz sicher würde keine Frau, die noch recht bei Verstand war, ihrem Exehemann von einem erotischen Traum erzählen, in dem er und sie die Hauptrollen spielten, nicht wahr?
„Was für einen Traum?“
„Ich erinnere mich nicht mehr.“
„Aber du hast doch gesagt …“
„Was ist das für ein Geräusch? Regnet es?“ Annie setzte sich auf und zog die Bettdecke bis unters Kinn, wobei ihre bloßen Arme und Schultern im Dunkel schimmerten. Chase stockte der Atem. Ob sie nackt ist unter der Decke?
„Ja“, brachte er heiser hervor.
Annie seufzte wohlig. „Mmmm. Klingt schön. Das macht es so gemütlich hier drin.“
Gemütlich? Chase unterdrückte ein Stöhnen. „O ja, äußerst gemütlich.“
„Wie viel Uhr ist es überhaupt? Schon bald Morgen? Ich könnte uns einen Kaffee machen.“
„Halb zwölf.“
Annie lachte ungläubig. „Noch nicht mal Mitternacht? Du machst Witze!“
„Ich wünschte, es wäre so.“
Sie ließ den Kopf sinken. O nein, unmöglich. Die ganze Nacht noch vor uns, das überlebe ich nicht …
„Annie?“
Blinzelnd hob sie den Kopf.
„Woran denkst du?“
„An nichts“, antwortete sie schnell. „Nur … dass es erstaunlich ist, wenn Mr. Tanaka auf diesem Bett hier wirklich schlafen kann. Die Matratze fühlt sich an, als ob sie mit Stahlwolle ausgestopft ist.“
Chase lachte. „Willkommen in der Schreckenskammer. Hat Präsident Kennedy tatsächlich in einem dieser grauenvollen Schaukelstühle gesessen, um seine Rückenschmerzen zu lindern? Unmöglich.“
„Ich glaube allerdings nicht, dass er versucht hat, sein Bett durch einen Schaukelstuhl zu ersetzen“, gab Annie schmunzelnd zurück.
„Nun, deshalb ist er wahrscheinlich Präsident geworden. Er war eben ein cleverer Junge.“
Annies Lachen entlockte Chase unwillkürlich ein Lächeln. Früher einmal hatten sie viel und oft miteinander gelacht. Und es war schön, sie zum Lachen zu bringen. Alles heute war im Grunde schön gewesen, sogar die Momente, als sie sich gegenseitig an die Gurgel gegangen waren. Ein Streit mit Annie war besser als ein Abend voller Lächeln mit einer anderen Frau – vor allem, wenn der Streit, wie früher so oft, in einer leidenschaftlichen Umarmung endete.
Was würde sie tun, wenn ich jetzt zu ihr ginge?, fragte er sich. Die Kleider abstreifen, die Decke zurückschlagen und zu ihr ins Bett kommen würde? Er wusste genau, wie sie duftete, nach einer Mischung aus Parfüm, Sahne und Honig. Und wie sie sich anfühlen würde, die Wärme ihrer Brüste, ihres Bauches, ihrer Lippen …
Chase schoss aus dem Schaukelstuhl empor. „Hier“, meinte er brummig. „Nimm das. Es ist ziemlich kühl geworden.“
„Mir ist warm genug. Außerdem kann ich dir doch nicht deine Decke wegnehmen. Was willst du denn dann benutzen?“
Eine Schneewehe, wenn ich eine finde, dachte er. Was ich brauche, ist dringend eine Abkühlung.
„Ich … bin nicht müde.“
„Du bist nicht müde? Chase, das kann nicht sein. Wir hatten einen endlos langen, schrecklichen Tag …“
„Da muss ich dir recht geben.“
„Und du hast nur zwei Stunden geschlafen? Das ist nicht genug.“
„Ja, na ja, vielleicht bin ich irgendwie überdreht. Oder vielleicht bin
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