JULIA FESTIVAL Band 95
bei, es selbst zu flechten? Ich finde meinen Zopf ganz toll. Wie findest du deinen, Tiffany?“
Tiffany versuchte sich umzudrehen, um Elissa zuzusehen. „Halt still“, sagte diese lachend. „Wie soll ich denn sonst vernünftig flechten?“
„Aber ich weiß doch immer noch nicht, wie es geht“, sagte die hübsche Dunkelhaarige ungeduldig.
„Wir üben so lange, bis ihr es könnt. Versprochen“, beruhigte sie die Mädchen.
Shanna beugte sich weiter vor, um besser sehen zu können, und legte dabei eine Hand auf Elissas Schulter. Diese vertrauensvolle Geste kam mit einer Selbstverständlichkeit, die Cole Unbehagen bereitete. Warum hatten diese Kinder ihr in der kurzen Zeit so gutgläubig ihr Vertrauen geschenkt? Warum sahen sie nicht, was er sah? Auch sie mussten doch merken, dass das alles hier Elissa nichts bedeutete, dass sie keine Skrupel haben würde, in ein paar Wochen ihre Koffer zu packen und alles hinter sich zu lassen. Sie würde die Kinder genauso verlassen wie ihn. Wenn er nur endlich wüsste, warum sie eigentlich gekommen war, dann könnte er sie rausschmeißen – aus dem Waisenhaus und aus seinem Leben.
Aber noch nicht heute. Heute wollte er hier im Türrahmen stehen und zusehen, wie sie mit den Kindern lachte. Cole verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete die vier. Normalerweise waren Kinder ausgezeichnete Beobachter, wenn es darum ging, die Charaktere der Menschen einzuschätzen. Aber dieser Fall war die berühmte Ausnahme von der Regel. Leider.
Die Erste, die seine Anwesenheit bemerkte, war Gina. Sie lächelte ihn schüchtern an und ging vertrauensvoll zu ihm hinüber.
„Hallo, meine Süße“, sagte Cole und hob sie hoch.
„Cole!“, rief Tiffany begeistert und kicherte bei dem vergeblichen Versuch, sich in seine Richtung zu drehen. „Sieh nur. Elissa flechtet uns Zöpfe. Ist das nicht cool?“
„Sehr gut.“
„Sie bringt uns auch bei, es selbst zu tun“, fiel Shanny ein. „Dann können wir uns jeden Morgen solch eine Frisur machen.“
„Hört sich gut an“, erwiderte er und wandte sich wieder Gina zu. „Was gibt’s Neues?“
„Meine Lehrerin hat gefragt, ob ich Französisch lernen möchte. Aber ich habe ihr schon gesagt, dass wir kein Geld für die Sprachkassetten haben“, sagte die Kleine betrübt.
Cole drückte das Kind fest an sich. Gina war offenbar ein Naturtalent. So jung sie war, sprach sie bereits fließend spanisch. „Natürlich ist dafür Geld da.“
„Wirklich?“ Dankbar sah sie Cole ins Gesicht.
„Aber klar“, sagte er voller Überzeugung, obwohl er genau wusste, dass die Möglichkeiten des zur Verfügung stehenden Budgets mehr als erschöpft waren. Ohne es zu wollen, fiel sein Blick auf Elissa. Sie befestigte gerade Tiffanys Zopf mit einem Gummiband. Ihr Lächeln zeigte, dass sie verstanden hatte.
„Du solltest dir die Haare auch wachsen lassen“, sagte Tiffany und grinste Cole an. Sie war froh, dass sie nicht länger still sitzen musste, und nahm ihre Heimgenossinnen entschlossen bei den Händen, um mit ihnen Richtung Tür zu gehen. „Dann würdest du viel jünger aussehen.“
Cole zog spielerisch an ihrem Ohrläppchen. „Jetzt aber raus mit euch, oder habt ihr nichts zu tun?“
Elissa stand gegen ihren Schreibtisch gelehnt. „Du hast doch nichts dagegen, dass ich mich mit den Kindern anfreunde?“
„Ich halte es für Zeitverschwendung. Du gehst ja doch in ein paar Monaten wieder weg.“
„Nach drei Monaten läuft meine Probezeit ab. Aber wenn du mit meiner Arbeit einverstanden bist und es mir hier gefällt, warum sollte ich dann nicht länger bleiben?“
„Du wirst dich hier langweilen.“
„Nein, ich fühle mich hier wohl. Warum denkst du immer nur das Schlechteste von mir?“
Elissas Antwort überraschte Cole. Ihm fiel keine spontane Entgegnung ein, also hockte er sich neben sie auf den Fußboden und nahm einen Stapel der Fotos in die Hand, die dort lagen. „Du sortierst Fotos?“
„Ja. Millie hat mich gebeten, die schönsten für die Jubiläumsausgabe unseres vierzigsten Jahrbuches herauszusuchen. Ich habe damit angefangen, die besten auszusuchen und sie chronologisch zu ordnen“, erwiderte Elissas zögernd. Es gefiel ihr nicht, dass er einfach das Thema wechselte.
Cole setzte sich nun bequem auf den Fußboden und streckte die Beine aus. Er nahm verschiedene Stapel nacheinander in die Hand. Die Fotos, die er jetzt durchstöberte, mochten vielleicht fünfzehn Jahre alt sein. Er betrachtete die ihm vertrauten
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