JULIA FESTIVAL Band 95
glaube, wir haben über viele Sachen nicht genügend nachgedacht“, sagte er.
„Wir waren jung. Ich habe dich geliebt, und ich wollte nichts anderes als mit dir zusammen sein.“
Und was ist jetzt?, hätte Cole gern gefragt. Aber diese Frage konnte er sich mit Leichtigkeit selbst beantworten. Selbstverständlich liebte sie ihn nicht mehr. Und er wollte ihre Liebe auch gar nicht. Er hatte für diese Liebe bezahlt – und der Preis war für seinen Geschmack zu hoch gewesen.
Dennoch gestand er sich zum ersten Mal ein, dass auch sie ihren Preis hatte zahlen müssen, als sie den Entschluss fasste, ihn zu heiraten. Er hatte sie aus ihrer vertrauten Umgebung herausgerissen und von ihr verlangt, sich seiner Welt, einer für sie völlig neuen und unbekannten Welt, anzupassen, ohne dass er ihr dabei half, Freunde und Abwechslung zu finden. Er war sogar so weit gegangen, sie nur für sich haben zu wollen. Cole war ehrlich genug, sich einzugestehen, dass er sich niemals damit zufriedengegeben hätte, nur für sie allein zu leben.
„Ich möchte nicht, dass du dir Vorwürfe machst“, hörte er Elissa sagen. „Ich mache dir keinen Vorwurf.“
„Das ist auch gut so. Ich kann schließlich nichts dafür“, entgegnete er, ohne zu überlegen. „Du musst übrigens auf die andere Seite gehen. Ich glaube, sie fangen jetzt an.“
Cole hatte recht. Anscheinend hatte Millie die Angelegenheit in die Hand genommen und die Startmannschaft ausgelost.
Elissa nickte. „Es muss toll sein, immer im Recht zu sein und keine Fehler zu machen. Sicherlich schläfst du jede Nacht den Schlaf des Gerechten. Vielleicht kannst du mir deine Lebensphilosophie verraten, bevor ich das Waisenhaus wieder verlasse. Ich möchte auch gern ein so glücklicher Mensch sein.“
Elissa drehte sich auf dem Absatz um und ging zu ihrem Mal hinüber. Cole starrte sie an. Er hatte ihre Zurechtweisung verdient, auch wenn sie ihm unrecht tat. Seine Selbstsicherheit war nur Fassade, besonders, wenn Elissa im Spiel war.
Zwei Wochen waren vergangen, seit Elissa mit ihrer Arbeit im Waisenhaus begonnen hatte. Vieles war inzwischen Routine geworden. Im Augenblick war sie damit beschäftigt, bezahlte Rechnungen abzulegen, doch neben der alltäglichen Büroarbeit hatte sie die verschiedenartigsten Aufgaben, die ihr immer wieder Spaß machten. Sosehr sie anfangs befürchtet hatte, dass sie Schwierigkeiten im Umgang mit den Kindern haben könnte, so sehr gefiel ihr gerade dieser Teil ihrer Arbeit. Sie half bei den Hausaufgaben, beteiligte sich an Spielen und war stets für die jungen Heimbewohner da.
„Du siehst ja so nachdenklich aus.“ Elissa hatte nicht einmal bemerkt, dass Millie ihr Büro betreten hatte und neben ihr am Schreibtisch stand.
„Ich habe gerade darüber nachgedacht, wie anders hier die Arbeit ist als die im Krankenhaus“, erklärte Elissa lächelnd.
Millie ließ sich auf dem Besuchersessel vor dem Schreibtisch nieder. „Es geht mich zwar eigentlich nichts an, aber heißt ‚anders‘ besser oder schlechter?“
„Viel besser. Ich liebe die Arbeit mit den Kindern.“
„Das habe ich erwartet.“
„Ich muss zugeben, dass ich mir anfangs ziemlich viele Sorgen gemacht habe. In den Zeitungen liest man so viel über Jugendgewalt – ganz besonders in Heimen.“
Millie nickte zustimmend. „Du hast recht. Aber Cole meint, es wäre ein Unterschied, ob Kinder durch einen Unglücksfall aus einer intakten Familie hinausgerissen werden oder ob sie aus einem Umfeld stammen, in dem Gewalt und Misshandlung an der Tagesordnung sind. Wir würden uns zwar auch um solche Kinder gern kümmern, aber dazu müssten wir hier einiges ändern.“
„Ich finde, was ihr hier leistet, ist schon etwas ganz Besonderes.“
„Wahrscheinlich hast du recht. Das sagt Jeff auch immer.“
„Er sieht sehr gut aus.“ Elissa dachte an das Foto auf Millies Schreibtisch, das sie und Jeff an ihrem dreißigsten Hochzeitstag zeigte. Trotz des höheren Alters wirkten die beiden wie ein ganz junges Liebespaar.
„Na klar, ich habe mir auch vorher seinen Vater und seinen Großvater genau angesehen. Die waren beide ganz schön heiße Typen“, entgegnete Millie verschmitzt.
„Unsinn. Du hast Jeff nicht wegen seines Äußeren geheiratet. Wenn du von ihm erzählst, merkt man gleich, dass er für dich das Wichtigste auf der Welt ist.“
„Du hast es erraten“, Millie lachte. „Egal wie er aussehen würde, ich würde ihn auf jeden Fall lieben. Trotzdem sind sein liebes Gesicht und
Weitere Kostenlose Bücher