JULIA FESTIVAL Band 97
wollte, auf dem schmalen Surfbrett über das Wasser zu gleiten. In einer etwas kräftigeren Brise verlor er das Gleichgewicht und fiel kopfüber in das Meer.
Zu ihrer Erleichterung tauchte er wenig später direkt neben dem gekenterten Surfbrett auf. Er schaffte es jedoch nicht, es wieder umzudrehen. Hilflos ließ er sich ins flachere Wasser treiben.
Tess musste lachen. Sie konnte nicht anders, obwohl es eigentlich nicht nett war. Lachen zu können wirkte jedoch wie eine Befreiung nach dem ganzen Druck, dem sie ausgesetzt gewesen war.
„Ihnen geht es offenbar besser, Signorina“, ertönte plötzlich Raphael di Castellis Stimme. Tess drehte sich um. Er hatte sich an die Wand neben der Tür gelehnt und kam ihr seltsam vertraut vor.
„Signor di Castelli“, sagte sie. Ihr war klar, dass es steif und abweisend klang. Aber sie hatte ja auch nicht damit gerechnet, ihn zu sehen. „Sie hatten nicht erwähnt, dass Sie heute kommen wollten.“
„Es war ein spontaner Entschluss“, antwortete er und richtete sich auf. In der schwarzen Hose und dem schwarzen Jackett aus Seide wirkte er nicht weniger beeindruckend als am Tag zuvor. Immerhin trägt er heute keine Krawatte, dachte Tess. Er hatte die obersten Knöpfe seines schwarzen Hemdes geöffnet, und sie betrachtete fasziniert die gelockten dunklen Härchen auf seiner Brust. „Wer hat Ihnen eigentlich erzählt, dass ich di Castelli heiße? Haben Sie etwa doch mit Ashley gesprochen?“
„Nein.“ Tess ging zurück in die Galerie, und Raphael folgte ihr. Verheiratete Männer dürften nicht so attraktiv sein, überlegte sie und wünschte, sie wäre von diesem Mann, den sie sowieso nicht haben konnte, nicht beeindruckt. Sie wollte nicht beweisen, dass sie nicht besser war als ihre Schwester. „So heißen Sie doch, oder?“, fügte sie betont gleichgültig hinzu. „Ich habe gehört, Sie seien eine bekannte Persönlichkeit.“
Er kniff die Augen zusammen. Es gefiel ihm nicht, dass sie mit anderen über ihn gesprochen hatte. „Hat das Ihr Informant behauptet? Dann hat er sich getäuscht. Oder Sie haben etwas missverstanden.“
„Das glaube ich nicht.“ Tess befeuchtete sich die Lippen. „Was führt Sie her?“
Castelli zog spöttisch eine Augenbraue hoch. „Ich bin auf dem Weg nach Viareggio und habe Sie im Vorbeifahren zufällig gesehen“, erklärte er. „Sie wirkten so … traurig.“
„Sie können sich Ihr Mitleid sparen, Signor di Castelli“, entgegnete sie scharf. „Ich habe mir nur die Zeit vertrieben, während ich darauf wartete, dass der Kaffee fertig wurde.“
Er blickte sie nachsichtig an. „Wie Sie meinen. Aber ich weiß genau, wie Ihre Miene gewirkt hat.“
Tess versteifte sich. „Vielleicht haben Sie von sich auf mich geschlossen.“
„Warum regen Sie sich so auf? Es ist nur natürlich, dass Sie nicht glücklich sind. Immerhin verläuft Ihr Urlaub anders, als Sie es sich vorgestellt hatten.“
„Ja, das stimmt. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen?“ Sie ging in das Büro und hoffte, er würde die Andeutung verstehen und sich verabschieden. Aber während sie noch das Gebäck betrachtete, das sie sich zum Frühstück gekauft hatte, fiel Castellis Schatten über den Schreibtisch.
„Kommen Sie mit mir“, forderte er sie auf.
Verblüfft sah sie ihn an. Er stützte sich mit beiden Händen an den Türrahmen und blickte Tess mit seinen goldbraunen Augen rätselhaft an. Ihr kribbelte die Haut, und Hitze breitete sich in ihr aus.
Als ihr bewusst wurde, dass sie ihn wie ein verliebter Teenager ansah, wandte sie sich ab. „Es tut mir leid, das ist unmöglich“, erwiderte sie. Er hatte wahrscheinlich sowieso damit gerechnet, dass sie seine Einladung ablehnen würde, sonst hätte er sicher nicht gefragt. „Trotzdem danke.“
„Warum?“
„Was meinen Sie?“ Tess stellte sich dumm.
„Warum ist es unmöglich?“ Er sprach jedes Wort so langsam und deutlich aus, als wäre sie ein kleines Kind oder schwer von Begriff. „Es ist doch ein wunderschöner Tag.“
„Ja. Aber ich kann die Galerie nicht einfach nach Lust und Laune schließen.“
Castelli verzog die Lippen. „Weil Ashley Sie gebeten hat, sie zu vertreten?“, fragte er ironisch. „Ja, ich kann mir gut vorstellen, dass Sie sich ihr gegenüber loyal verhalten wollen.“
Wieder versteifte sie sich. „Sie können sich die sarkastischen Bemerkungen sparen.“ Sie zögerte kurz. „Ich muss hier sein, falls sie anruft.“
„Rechnen Sie denn damit, dass sie sich
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