JULIA FESTIVAL EXTRA Band 04
seinen Vorstellungen keine tolle Karriere, aber sie schämte sich dessen nicht.
„Wie alt waren Sie, als Sie Angelo geheiratet haben?“
„Zweiundzwanzig.“
„Das ist sehr jung.“
„Wir waren uns unserer Sache sicher“, bekräftigte sie, als müsste sie ihre damalige Entscheidung rechtfertigen angesichts der viel stärkeren – und gänzlich ungebetenen – Gefühle, die sie jetzt bestürmten. Sie hatte Angelo aus sehr vielen Gründen geliebt, wohingegen sie keine nachvollziehbare Erklärung für die Empfindungen hatte, die sie nun für einen Mann entwickelte, den sie kaum kannte. Dennoch war es ihr unmöglich zu leugnen, wie stark sie sich zu Alessandro King hingezogen fühlte.
Eigentlich hätte sie ihn mit Fragen bombardieren müssen. Aber würde es etwas ändern, wenn sie mehr über ihn wusste? Und warum nahm er sie derart ins Kreuzverhör? Wollte er vielleicht Abstand gewinnen von Gefühlen, die ihm unangenehm waren? Ja, vermutlich wollte er sich nur vor Augen führen, dass sie sowieso überhaupt nicht zu ihm passte und Michelle die wesentlich bessere Partie für ihn war.
Solche Gedanken machten Gina wütend und weckten ihren Stolz. Schließlich hatte sie nicht darum gebeten, war sie nicht hinter Alessandro her! Die Initiative war allein von ihm ausgegangen. Er hatte Gefühle geweckt, die er besser hätte ruhen lassen, wenn sie ihm jetzt lästig waren.
„Sind Sie nach Ihrer Heirat weiter berufstätig gewesen?“, fragte er nun unbeirrt weiter.
„Nicht mehr in dem Blumenladen. Angelo hatte ein Chartergeschäft für Hochseeangeltouren, und ich habe mich um die Verpflegung seiner Kunden gekümmert.“ Und ich habe meinem Mann auf diese Weise mehr zur Seite gestanden, als Michelle Banks es bei ihm je tun wird, dachte Gina trotzig.
„Sie waren also sozusagen die Stewardess an Bord seines Schiffes?“
„Ja, und es hat mir sehr viel Spaß gemacht“, antwortete sie herausfordernd. „Erst als ich schwanger geworden bin, musste ich aufhören, weil ich seekrank wurde. Von da an habe ich dann das Essen zu Hause vorbereitet, und Angelo hat es an Bord selbst serviert.“ Waren nicht die meisten Berufe in irgendeiner Form Dienstleistungen an Kunden? Auch eine Modedesignerin tat letztendlich nichts anderes, als Kleidung für andere Leute zu entwerfen. Deshalb sah Gina keinen Grund, ihre Arbeit niedriger zu bewerten als das, was Alessandros Verlobte machte. Man konnte nicht so viel Geld damit verdienen, aber das war auch alles. Sie, Gina, musste sich wirklich nicht schämen.
„Seit Marcos Geburt sind Sie dann also ganz Hausfrau und Mutter gewesen, ja?“
„Nun, nicht ausschließlich …“ Sie erinnerte sich nicht gern an jene erste Zeit unmittelbar nach Angelos Tod, an den Schock, den Schmerz, die Trostlosigkeit. Von all ihren gemeinsamen Zukunftsplänen rund um eine große, glückliche Familie war ihr nur Marco geblieben, ihr kleiner Sohn, den sie über alles liebte und der sie doch gleichzeitig auch beständig an das erinnerte, was sie verloren hatte.
Sie hatte aufgehört, Zukunftspläne zu schmieden, aus Angst, das Schicksal zu versuchen. Stattdessen hatte sie im Grunde von einem Tag auf den anderen gelebt ohne große Perspektive. Isabella Valeri-King hatte ihr eine neue Tür geöffnet, Peter Owen würde ihr möglicherweise weitere Türen auftun. Doch plötzlich schien das alles nicht mehr wichtig. Alessandro King hatte die Bühne betreten, und sie, Gina, konnte an nichts anderes mehr denken. Dennoch wusste sie nicht wirklich, wo sie bei ihm stand. Diese Leidenschaft, mit der sie sich zu ihm hingezogen fühlte, war vermutlich verrückt.
„Sie meinen Ihre Auftritte als Sängerin?“, fragte Alessandro nach, als sie schwieg.
„Nicht nur, ich arbeite auch halbtags im Blumenladen meiner Tante“, antwortete Gina nachdenklich. Zum ersten Mal wurde ihr richtig bewusst, dass der Job wohl eher ein Lückenbüßer war als geeignet, ihrem Leben einen Sinn zu geben. „Ich kann da Marco mitnehmen“, fügte sie erklärend hinzu.
„Und wer passt heute Abend auf ihn auf?“
Diese Frage erinnerte sie daran, was sie eigentlich vorgehabt hatte, bevor Alessandro sie vom Tisch seiner Großmutter entführt hatte. „Rosita, die Haushälterin Ihrer Großmutter.“ Gina sprang auf. Es war unverzeihlich. Sie hatte Marco vergessen, um sich einem dummen Traum hinzugeben. Ihr Platz war an der Seite ihres Sohnes. „Ich werde jetzt besser nach ihm sehen.“
„Er ist hier im Schloss?“
Das Ausmaß seines Erstaunens
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