JULIA FESTIVAL EXTRA Band 06
entschieden und aus seiner Enttäuschung keinen Hehl gemacht.
Das Ergebnis war katastrophal gewesen. Pater John hatte sich das Leben genommen, und er, Francis O’Leary, den seine Kirche als Pater Ignatius kannte, hatte sich die Schuld daran gegeben. Einzig und allein sich selbst. Sogar der Bischof schien das genauso zu sehen.
Er war fortgeschickt worden in eine Gemeinde fern der Heimat, um einen neuen Anfang zu machen. Doch seine Schuld folgte ihm selbst dorthin. Man wusste, welche Rolle er bei dem tragischen Ende Pater Johns gespielt hatte. Er wurde zu einem Unberührbaren, zu jemandem, dem man aus dem Weg ging. Zu einem Priester, der nicht nur den Glauben an andere verloren hatte, sondern auch den an sich selbst. Also hatte er sich um eine Stelle als Missionar beworben und eine bekommen.
„Selbst wenn ich nach Hause zurückkehren wollte, ich könnte es nicht“, sagte David und holte den Priester jäh in die Gegenwart zurück. „Ich könnte das Geld für das Flugticket niemals aufbringen.“
Das stimmte, denn sie lebten sehr ärmlich und hatten nur das Notwendigste. Sie aßen Gemüse, das sie selbst anbauten, und für den Rest verließen sie sich auf die Großzügigkeit und Dankbarkeit ihrer Patienten und deren Familien.
„Du musst nicht unbedingt fliegen“, wandte Pater Ignatius ein. „Es gibt andere Möglichkeiten. Im Hafen liegt eine Jacht, die darauf wartet, zurück nach Europa gesegelt zu werden. Der Kapitän war gestern in der Coconut Bar. Er hat erzählt, dass er eine Mannschaft sucht, die für Kost, Logis und die Passage arbeitet.“
„Eine Jacht, die nach Europa fährt? Was hat sie geladen? Drogen?“, entgegnete David trocken.
„Nein, aber ihr Besitzer liegt im Sterben und will nach Hause.“
Die beiden Männer wechselten einen wissenden Blick.
„AIDS?“, fragte David unverblümt.
„Ja, das könnte ich mir vorstellen“, antwortete Ignatius.
Ein großer Teil ihrer Patienten befand sich im Endstadium dieser schrecklichen Krankheit, im Stich gelassen von ihren verängstigten Angehörigen und Freunden. David hatte lange genug an der Seite des Priesters gearbeitet und gelernt, diese Krankheit und diejenigen, die an ihr litten, zu respektieren. Sie zu respektieren und nicht zu fürchten.
„Ich kann einfach nicht gehen. Nicht jetzt“, flüsterte David, aber die Sehnsucht in seiner Stimme war nicht zu überhören.
„Träumst du oft von deinem Bruder?“, fragte Pater Ignatius ihn direkt.
„Nicht so wie letzte Nacht“, gestand David. „Ich habe davon geträumt, wie wir Kinder waren. Es war so voller Leben. Wir hatten gerade unsere ersten Fahrräder geschenkt bekommen, aber das Seltsame war …“ Er verstummte und zog die Stirn kraus. „In dem Traum habe ich auf meinem Fahrrad gesessen, aber meine Gefühle waren die von Jon.“
Der Priester sagte nichts. Er wusste, dass David seinen Bruder Jon Crighton aus sicherer Entfernung beobachtet hatte, als er Max im Krankenhaus besucht und seinen Sohn schließlich nach Hause geholt hatte. Das Leben war etwas so Wertvolles, und weil er immer deutlicher merkte, wie sehr seine eigenen Kräfte schwanden, betete er für David. Er betete, dass David Crighton sich ein Herz fassen und zu seinem Zwillingsbruder heimkehren würde.
„Ich kann nicht gehen“, wiederholte David, aber sein Freund wusste, dass er es nicht nur konnte, sondern auch tun würde.
„Ja, Mrs. Crighton … natürlich, Maddy“, verbesserte Honor Jessop sich, als die Anruferin sie bat, sie beim Vornamen zu nennen. „Ich komme gern vorbei und sehe mir Ihren Schwiegervater an. Allerdings kann ich nicht versprechen, dass …“
Sie zögerte. Inzwischen war sie daran gewöhnt, dass ihre Patienten und deren Familien von ihr eine Art Wunder erwarteten, nachdem die Schulmedizin sie nicht hatte heilen können.
„Die Kräuterheilkunde ist keine Zauberei, sondern eine Naturwissenschaft“, musste sie ihnen manchmal erklären. Schließlich waren viele moderne Medikamente aus Pflanzen gewonnen worden, auch wenn sie inzwischen in den Labors der Pharmaindustrie synthetisch hergestellt wurden.
Honor war nicht immer Kräuterheilkundlerin gewesen. Ganz im Gegenteil. In den siebziger Jahren hatte sie Medizin studiert. Eine attraktive Brünette mit blauen Augen, hatte sie das Leben in vollen Zügen genossen und keine Party ausgelassen. Geradezu verzweifelt hatte sie versucht, ihre aristokratische Abstammung zu verleugnen und Teil der Londoner „Szene“ zu werden. Ironischerweise hatte
Weitere Kostenlose Bücher