Julia Gold Band 0045
entspannen, während er sie so prüfend musterte, als wollte er ihre Gedanken lesen.
„Es bietet sich doch geradezu an, dass Sie im Palast wohnen, dann brauchen Sie nicht ständig hin- und herzufahren. Es wäre Zeitverschwendung und unbequem“, entgegnete er schon viel sanfter.
Er lächelte und fuhr noch sanfter fort: „Natürlich sollen Sie es selbst entscheiden. Aber ich würde mich freuen, wenn Sie meine Einladung annehmen würden. Ich möchte Sie für die Enttäuschung und die Schwierigkeiten entschädigen, die meine Mitbürger Ihnen bereitet haben.“
Habe ich mich wieder einmal unnötig aufgeregt und die Situation falsch eingeschätzt? Ich muss mich einfach erst an seine autoritäre Art gewöhnen, das ist alles, überlegte sie, wurde jedoch die Bedenken nicht los.
„Das ist sehr freundlich von Ihnen“, erwiderte sie, weil er offenbar eine Antwort erwartete. „Wenn es Ihnen recht ist, möchte ich mich nicht sogleich entscheiden, sondern erst darüber nachdenken.“
Jetzt stellt sich heraus, ob ich mich wirklich frei entscheiden kann, und wenn er darauf besteht, dass ich hier einziehe, kann er die Sache vergessen, sagte sie sich energisch.
Aber er bestand nicht darauf, sondern nickte nur. „Sicher. Nehmen Sie sich ruhig Zeit.“ Dann lächelte er wieder und schaute auf die Uhr. „Da wir von Zeit reden … Ich werde Sie und Rashid ins Archiv begleiten, aber erst sehen wir uns die Bibliothek an.“
Er drehte sich um und unterhielt sich kurz auf Arabisch mit Rashid. Dann eilte er ihm und Amber voraus aus dem Zimmer.
Die Bibliothek befand sich in der ersten Etage und war einer der schönsten Räume des Palastes.
Es war ein sehr großer, runder Raum mit kuppelförmiger Decke, in dem die hohen Regale konzentrisch, also um einen gemeinsamen Mittelpunkt herum angeordnet waren. Es sah wunderschön aus und war zugleich funktional.
Als der Scheich sie durch die breite Tür führte – Rashid folgte ihnen in angemessenem Abstand –, konnte sie sich einen bewundernden Ausruf nicht versagen. Sie blieb stehen und schaute sich um.
„Was für ein herrlicher Raum! So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen!“ Sie war entzückt und begeistert von dem Kunstwerk, das ein italienischer Architekt entworfen hatte, wie man ihr erklärte.
Scheich Zoltan lächelte. „Ich habe ihn erst vor drei Jahren ausbauen lassen“, erklärte er und fügte stolz hinzu: „Es ist eine der umfangreichsten und meistbenutzten Bibliotheken aller arabischen Länder.“
In diesem Moment erschien ein älterer Mann an der Tür und kam herein, ohne die Aufforderung des Scheichs abzuwarten. Sogleich redete er auf Arabisch auf ihn ein. Der Mann war ärmlich gekleidet und sah aus wie ein Palastarbeiter. Amber rechnete damit, dass der Scheich ihn hinausbefördern würde.
Doch er tat es nicht, sondern nahm den Mann am Arm und lächelte ihn freundlich an.
„Entschuldigen Sie mich, ich muss Sie kurz allein lassen“, sagte er an Amber gewandt und gab dann Rashid mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er sich um Amber kümmern solle.
Im Handumdrehen war Rashid neben ihr und deckte sie mit Informationen ein.
„Wie Seine Hoheit Ihnen schon erklärt hat, wurde die Bibliothek erst vor einigen Jahren eingerichtet. Es war eine der ersten Arbeiten, die er in Auftrag gab, nachdem er die Regierung nach dem Tod seines Vaters übernommen hatte. Zuvor gab es im Palast keine umfangreiche Bibliothek. Und jetzt stehen hier mehr als fünfzigtausend Bände. Gleichzeitig hat Seine Hoheit in der Stadt noch eine Bücherei bauen und einrichten lassen, die jedermann zugänglich ist. Er ist davon überzeugt, dass jeder Bürger ein Recht auf Bildung und Wissen hat.“
„Die Leute werden es zu schätzen wissen“, erwiderte Amber höflich. Irgendwie traute sie dem Scheich immer noch nicht.
Aus dem, was sie über ihn gelesen hatte, hatte sie entnommen, dass er sein Land klug und umsichtig regierte. In den vier Jahren seit seiner Regierungsübernahme hatte er den größten Teil der Einnahmen aus den Ölvorkommen, die seine Familie reich gemacht hatten, zum Bau von Schulen, Straßen, Krankenhäusern und Sportstätten ausgegeben.
Sie betrachtete ihn, wie er dastand und mit dem alten Mann redete. Er wirkte ziemlich selbstherrlich, doch es war beeindruckend, wie freundlich er mit dem Mann umging.
Wer ist der Fremde überhaupt? überlegte Amber. Vielleicht war er trotz seines einfachen Aussehens eine wichtige Persönlichkeit und wurde nur deshalb von Scheich
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