JULIA GOLD Band 32
leben, aber es ist unerträglich. Mein Leben ist unerträglich.“
Sie wollte aufstehen und zu ihm gehen, doch sie hatte Ben auf dem Schoß, und ihre Beine waren im Moment zu schwach, um sie beide zu tragen. „Es kann nicht unerträglich sein, wenn es Menschen gibt, die dich so sehr lieben wie wir.“
Kahlil machte einen Schritt vorwärts. „Warum habe ich dir dann so wehgetan? Warum habe ich uns durch die Hölle geschickt?“
„Ich weiß nicht, aber es gibt sicherlich einen Grund dafür.“
„Nein, es gibt keinen Grund für willentliche Grausamkeit.“ Einen Schritt vor ihr blieb er stehen. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos. „Ich will dir nicht länger wehtun. Das muss endlich ein Ende haben.“
„Du bist hier, und nur das zählt.“ Sie schluckte, der Tumult ihrer Gefühle war überwältigend. Sie wusste nicht, ob sie froh oder verärgert sein sollte, dass Rifaat sein Wort gebrochen hatte und zu Kahlil gegangen war. „Dann hat dir Rifaat alles erzählt? Ich hatte ihn gebeten, es nicht zu tun.“
Kahlil runzelte die Stirn. „Was soll Rifaat mir erzählt haben?“ Verwirrt sah er sie an. „Ist irgendetwas geschehen? Irgendetwas mit Ben?“
„Nein, nichts in der Art.“ Sie zögerte. Offensichtlich hatte Kahlil keine Ahnung, wovon sie sprach. Also war Rifaat nicht bei ihm gewesen – was bedeutete, Kahlil war aus eigenem Antrieb hier. Einen Moment lang wusste sie nicht, was sie denken sollte, dann aber löste sich etwas in ihrem Herzen, und sie war unbeschreiblich glücklich.
„Wie geht es ihm?“, fragte Kahlil und zeigte auf Ben. Er trat vor, um ihn Bryn abzunehmen.
„Gut. Er schläft schon die ganze Zeit.“
„Armer kleiner Kerl.“ Er drückte seinen Sohn fest an sein Herz. „Weiß er, was ich getan habe? Weiß er, dass ich euch weggeschickt habe?“
„Er ist wach geworden, als wir an Bord des Flugzeugs gingen, doch ich habe ihm nicht gesagt, wohin wir fliegen, sondern nur, dass wir verreisen.“
Kahlil schluckte. „Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe, dich einfach so wegzuschicken. Ich stand auf der anderen Seite der Tür, habe gehört, wie du geweint hast. Ich habe deine Hand an der Tür gespürt, doch statt die Tür zu öffnen, habe ich dich ignoriert. Habe so getan, als würde es dich nicht geben.“ Er verzog den Mund. „Der Gedanke macht mich krank. Wie konnte ich dir das antun? Wie konnte ich meiner kleinen Familie das antun? Es tut mir so leid. Kannst du mir verzeihen?“
„Es gibt nichts zu verzeihen.“
„Doch, es gibt einiges. Wir al-Assads sind bekannt dafür, dass wir sehr hart zu unseren Frauen sind.“
Sie hob die Hand und strich zart über sein Gesicht. „Ich liebe dich.“
„Ich weiß. Und ich weiß auch, dass zwischen dir und meinem Bruder nichts gewesen ist. So eine Frau bist du nicht. Außerdem kenne ich meinen Bruder. Er hat sein ganzes Leben damit verbracht, mich zu manipulieren und mir etwas vorzuspielen. Ich will mir gar nicht ausmalen, welch schwierige Zeit du seinetwegen durchlebt hast.“
„Es ist vorbei. Wir haben Ben wieder, und ich habe dich.“
Kahlil wich ihrem Blick aus. „So wie du heute Abend meinen Namen gerufen hast, so hat es damals auch meine Mutter getan. Ich wusste zu dem Zeitpunkt natürlich nicht, warum sie weggeholt wurde. Ich wusste nur, dass irgendetwas ganz Schreckliches vor sich ging. Ich habe sie nie wieder gesehen.“
Er holte tief Luft. „Einmal hätte ich die Möglichkeit gehabt. Als Jugendlicher, als ich in den Staaten war. Doch ich wollte sie absolut nicht sehen.“ Er räusperte sich. „Ein knappes Jahr später starb sie. Krebs.“
„Du wusstest es nicht.“
„Dass ich sie nicht sehen wollte, war einer der schlimmsten Fehler, die ich in meinem Leben gemacht habe. Heute Nacht hätte ich fast einen ebenso schlimmen Fehler begangen.“ Er riss den Kopf herum und schaute ihr tief in die Augen, suchte nach einer Antwort darin. „Dein Zuhause ist in Zwar bei mir, und ich möchte dich bei mir haben. Wenn du es auch willst.“
„Ich will es“, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme.
„Ich will dich nicht verlieren.“
„Ich wollte niemals gehen.“
„Das Leben ist hart …“
„Ich weiß. Ich will es mit dir verbringen. Ich möchte, dass wir zusammen sind. Ich möchte es für Ben und auch für dich und mich.“
„Ich könnte nicht ertragen, dass Ben das erlebt, was ich erlebt habe. Das Leid hat mich nicht stärker gemacht. Es hat mich grausam gemacht. Liebst du mich
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