Julia Gold Band 47
Zelt tragen musste.
„Wenn ich dich jetzt auspeitschen würde, könnte niemand mir einen Vorwurf machen“, zischte Raschid und hockte sich zu ihr, um ihr die klatschnasse tobe abzustreifen.
„Du hast die Hunde auf mich gehetzt!“, empörte Polly sich.
Er holte ein Handtuch und begann, sie unsanft trocken zu reiben. „Worauf hast du da draußen gewartet? Auf die Arche Noah?“, höhnte er. „Du lagst in einem shoeb … einem ausgetrockneten Flussbett. Hast du nicht gemerkt, dass das Wasser sich bereits anzusammeln begann? Noch einige Augenblicke, und die Senke wäre überflutet gewesen.“
„Hör auf, mich anzubrüllen“, flüsterte Polly.
Raschid legte eine Decke um sie und frottierte ihr tropfendes Haar. „Noch einige Minuten länger, und die saluki hätten deinen Geruch im Regen verloren. Das wäre dein Tod gewesen. Das Wasser hätte deine Spuren weggewaschen, und der heruntergeschwemmte Dünensand hätte dich zugedeckt. Danke Allah, dass wir dich gefunden haben und niemand dabei ums Leben gekommen ist. Wie kann man nur so dumm und unverantwortlich …“ Raschid sprach nicht weiter und betrachtete Pollys blasses Gesicht.
Schließlich atmete er ein paar Mal tief durch und wandte sich halb ab. „Ich schreie dich an, aber eigentlich bin ich schuld“, bekannte er mit rauer Stimme. „Ich habe dir gedroht und mich damit beschämender verhalten, als du es getan hast in den Armen deines Liebhabers.“
Beschwörend griff sie nach Raschids Hand. „Chris ist nicht mein Liebhaber. Bitte glaub mir! In jenem Augenblick war ich so unglücklich, und … Er hätte das nicht tun dürfen. Was soll ich nur machen, damit du mir glaubst?“
Raschid blickte sie mit ausdrucksloser Miene an, dann richtete er sich auf und schritt zum Zeltausgang. „Du hättest nicht zurückkommen dürfen“, sagte er ruhig. „Aber dir blieb ja aus Rücksicht auf deine Familie keine Wahl.“
„Wohin gehst du?“
„Marzouk versorgen.“ Raschid trat in den Regen hinaus.
Im Morgengrauen wurde Polly durch markerschütternde Kamelschreie geweckt. Der Platz neben ihr war unberührt. Raschid hatte also nicht bei ihr geschlafen.
Sobald Polly sich aufsetzte, erschien ein schlankes Beduinenmädchen mit einer Schüssel Wasser. Vermutlich hatte es vor dem Zelt darauf gewartet, dass Polly erwachte. Die junge Frau kicherte scheu, als Polly versuchte, sich mit ihr zu verständigen, und stellte sich als Hirfa vor.
Als sie ins Freie ging, wurde sie von einem halben Dutzend Frauen umringt. Bis auf Raschids Zelt war das Lager aufgelöst worden. Die Männer saßen an den Feuerstellen und tranken Tee, während die Frauen und Mädchen dabei waren, die Habe zu packen.
Raschid stand einige Schritte entfernt und winkte Polly zu sich herüber. „Komm, leiste uns Gesellschaft“, forderte er sie auf. „Möchtest du Tee?“
Überrascht nahm Polly neben ihm Platz. Seine Leute nahmen die ungewohnte Anwesenheit einer Frau in ihrer Runde stillschweigend hin. „Es ist kühl, nicht wahr?“, bemerkte Polly, um das Schweigen zu brechen, worauf Mahmoud prompt nach einer Decke geschickt wurde.
Auf Raschids Wink wurde Polly beim nächsten Einschenken zuerst bedient. Einige Männer schmunzelten, als Raschid eine Bemerkung auf Arabisch machte.
„Was hast du gesagt?“, wollte Polly wissen.
„Nichts weiter. Du bist in die Runde aufgenommen, weil ich dich hergebeten habe.“
Aufgenommen. Ein dehnbarer Begriff, sinnierte Polly. Der starke, ungewöhnlich süße Tee wurde ohne Milch getrunken, und die meisten Männer rauchten. Polly wurde von dem Rauch übel. Verwundert fragte sie sich, was mit ihr los war. Sie war doch sonst nicht so empfindlich. Geistesabwesend lauschte sie dem melodischen Klang der Stimmen, und eine seltsame Ruhe überkam sie. Vielleicht fand Raschid sich nach der Beratung mit seinen Leuten endlich zu einer Aussprache bereit.
„Ich dachte, heutzutage reist man in der Wüste nur noch mit Lastwagen“, gestand Polly, nachdem die anderen sich entfernt hatten.
„Wir befinden uns hier mitten in einer Dünenlandschaft, und ein Fahrzeug, das dieses Gelände bewältigen könnte, muss erst noch erfunden werden“, erwiderte er. „Die Lebensbedingungen sind sehr primitiv.
„Das stört mich nicht.“
Er betrachtete sie mit zusammengekniffenen Augen. „Aber mich vielleicht.“
„Weil du mich hier nicht haben willst.“
Raschid seufzte. „Du bist heute Morgen überempfindlich, und das ist meine Schuld, Polly“ Er stand auf und zog sie
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