Julia Gold Band 47
wirklich nackt neben ihr gelegen hatte. Denn ab jetzt übernachteten sie in getrennten Schlafzimmern. Außerdem bereute sie, am Morgen nicht ein klein wenig länger im Bett geblieben zu sein. Aber kaum hatte sie Mut gefasst, seinen Körper zu erforschen, hatte er sie auch schon wieder verlassen. Und nun quälte sie die Neugier. Was wäre geschehen, wenn …
Während der Autofahrt machte Ben sich immer wieder Vorwürfe, auf der Hochzeitsreise bestanden zu haben. Bei dem Gedanken daran, die nächsten sechs Nächte womöglich so zu verbringen wie die letzte – enttäuscht und voller Sehnsucht nach etwas, das nie passieren würde –, hatte er nicht übel Lust, sofort umzukehren.
Er blickte kurz zur Seite. Emily sah teilnahmslos aus dem Fenster. Offenbar hatte sie die kurze Umarmung am Morgen nicht so recht genossen, sonst wäre sie nicht so schnell aus dem Bett gesprungen. Sie ahnte nicht, was sie angerichtet hatte, als sie seine Brust streichelte. Sein Körper glühte immer noch von ungestilltem Verlangen.
Er wagte es kaum, es sich einzugestehen: Er begehrte seine Assistentin. Um die beruflichen Qualitäten dieser Frau beneideten ihn alle Generaldirektoren der Stadt. Und nun musste er nach drei Jahren Zusammenarbeit feststellen, dass sie noch andere bemerkenswerte Qualitäten besaß, die er ihr niemals zugetraut hätte. Von diesen Fähigkeiten wusste sie nicht einmal selbst etwas. Und das machte sie begehrenswerter als jede Frau, die er bisher kennengelernt hatte.
Natürlich war er weiterhin an die Abmachung einer Ehe ohne Sex gebunden. Aber er fand, dass sie voreilig getroffen war. Verdammt voreilig.
Nun war alles zu spät, oder nicht? Er betrachtete wieder Emilys Profil, die sanften Rundungen ihrer Wangen und ihr kleines trotziges Kinn. „Erzähl mir etwas über die San Juan Inseln“, brach er das Schweigen. „Warum fahren wir ausgerechnet dorthin?“
„Sie sollen wunderschön sein. Ruhig, einsam, erholsam. Auf Orcas, wo ich für uns gebucht habe, soll es nicht einmal Verkehrsschilder geben.“
„Und was wollen wir dort unternehmen?“ Am liebsten hätte er die Tage mit ihr im Bett verbracht, aber sie hatte sicher andere Pläne.
Hatte sie. „Wir können segeln, rudern, angeln, wandern“, zählte sie auf.
„Und wie ist unsere Unterkunft im … äh …“
„Orcas Insel-Hotel.“
„Genau.“ Ihm war es peinlich, den Namen vergessen zu haben. Er hatte ihr wie immer die Organisation überlassen.
„Es liegt auf einem dreißig Morgen großen Grundstück, und das Haupthaus ist eine alte Villa. Aber ich habe für uns ein kleines Haus mit zwei Schlafzimmern und Seeblick gemietet.“ Sie räusperte sich. „Ich dachte, es sei das Beste, weil wir …“
„… nicht zusammen schlafen“, beendete er den Satz. „Du hast also nicht erwähnt, dass wir unsere Hochzeitsreise dort verbringen.“
„Natürlich nicht“, sagte sie. „Ich dachte, du willst keinen Wirbel, und ich will ganz bestimmt keinen. Du weißt doch, wie die Leute Hochzeitsreisende angucken.“
„Nein, wie denn?“
„Na ja, sie lassen einen nicht aus den Augen, grinsen und so.“
„Das wollen wir natürlich nicht.“ Er unterdrückte ein Lächeln. „Das würde uns ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.“
Wie er vorausgesehen hatte, bebte Emily vor Unbehagen.
„War es sehr schlimm für dich, bei der Hochzeit im Mittelpunkt zu stehen? Alle Blicke auf dich gerichtet zu fühlen? Zu hören, wie schön du aussiehst?“
„Ja. Nein. Ich meine, ich habe es in dem Moment genossen, aber ich war erleichtert, als es vorbei war. Ich bin nicht fürs Rampenlicht geboren. Aber ich bin froh, dass ich nun weiß, wie sich das anfühlt. Es war nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Und im Übrigen finden die Leute jede Braut schön, egal wie hässlich sie eigentlich ist.“
Er schüttelte den Kopf. Es war zwecklos, mit ihr darüber zu diskutieren. Sie fühlte sich wie das hässliche Entlein in einer Schwanenfamilie. Er hätte sie gerne eines Besseren belehrt. Mit Worten allein schaffte er das nicht. Es brauchte Geduld, Verständnis und viel Zeit. Seelische und körperliche Aufmerksamkeit. Es war eine Herausforderung. Eine, die ihn reizte. Eine, die er annehmen wollte.
Auf der Autofähre nach Orcas standen sie Seite an Seite an Deck, beobachteten Fischreiher, atmeten kühle frische Luft und schauten hinüber zu den dicht bewaldeten Inseln.
„Ich besorge uns einen Kaffee, ja?“, schlug Ben vor und machte sich auf den Weg. Aber bevor er
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