Julia Gold Band 53
und mit bettelnd ausgestreckten kleinen Händen belagerten.
Panik ergriff sie. Abrupt drehte sie sich um und kämpfte sich durch die nachfolgende Menschenmenge. Die Kinder blieben ihr auf den Fersen. Sie lief jetzt, so schnell es das Gedränge um sie herum zuließ, bog dann um eine Ecke und rannte in etwas Haariges, Hartes hinein, das von einem Vordach herunterhing. Entsetzt sprang sie zurück.
Es war ein toter Fuchs.
In panischem Schrecken schrie sie laut auf, wirbelte herum und flog gegen ein scharfes, rostiges Metallstück, das aus einem der Verkaufsstände hervorragte. Blut tropfte von ihrer Wange, aber sie achtete nicht darauf, sondern lief, lief, so schnell sie konnte, immer weiter durch das Gassengewirr, bis ihr die Umgebung plötzlich bekannt vorkam. Sie stand vor Khalils Haus.
Erleichtert, endlich in Sicherheit zu sein, schluchzend und völlig außer Atem, bediente sie den Türklopfer. Der Wachmann öffnete das Tor, erkannte mit einem Blick, wer und in welchem Zustand sie war, und führte sie sofort ins Haus zu einem ihr bisher unbekannten, mit weichen Teppichen ausgelegten Raum.
Wenige Augenblicke später kam Khalil mit zerzaustem Haar herein. Hastig band er einen Gürtel um seinen weißseidenen Morgenmantel, und ihr war klar, dass er darunter unbekleidet sein musste. Sie wandte die Augen ab und fragte sich, ob sie hier vom Regen in der Traufe gelandet war.
„Hannah!“ Mit schnellen Schritten eilte er auf sie zu. „Was ist passiert? Doch nicht dieser Ire? Er hat doch nicht …“
„Nein, nein“, wehrte sie zitternd ab. „Er hat nicht. Es tut mir leid. Es ist zu dumm. Ich habe mich wie ein Idiot benommen, und sicher wollten sie mir gar keine Angst einjagen …“
„Setz dich“, sagte er mit besorgter und mitfühlender Stimme und zog sie neben sich auf ein schweres Satinsofa mit den Ausmaßen eines Bettes.
„Mahmoud, qahwa, minfadlik “, sagte er zu dem Wachmann und wandte sich dann wieder Hannah zu. „Mahmoud bringt uns Kaffee, und du kannst mir in Ruhe erzählen, was geschehen ist.“
„Nichts, eigentlich gar nichts“, stammelte sie.
„Immerhin genug, um dich zum Rennen zu bringen und um dich zu verletzen.“
Sie griff sich an die Wange und fühlte das Blut. „Ich bin in den Souk gegangen und dort von Kindern belästigt worden“, erzählte sie kleinlaut und betupfte mit einem Taschentuch ihr Gesicht. „Mit ihnen bin ich schon nicht gut fertig geworden, und dann haben mir zwei junge Männer Angst gemacht, weil sie … ich wusste einfach nicht, wie sicher ich war.“
„Ich bezweifle, dass sie dir etwas angetan hätten, aber wahrscheinlich hofften sie, dich mit ihrem Charme und ihren schönen Augen zu beeindrucken.“ Er lächelte. „Ich habe dich gewarnt.“
„Aber ich bin doch ganz dezent gekleidet“, meinte sie trotzig. Diese marokkanischen Männer waren wirklich eingebildet! Konnte man als Frau nicht einmal über die Straße gehen, ohne tätlich belästigt zu werden?
„Es kann dir doch nicht entgangen sein, dass du eine sehr begehrenswerte Frau bist, Hannah. Du solltest nicht allein in den Souk gehen, zumindest nicht, bevor ich dich über die Gefahren dort aufklären konnte. Oder erst dann, wenn jeder uns mehrmals zusammen gesehen hat und weiß, dass man dich in Ruhe lassen sollte.“
„Ich habe mich wohl sehr dumm benommen“, gestand sie ein und nahm dankbar eine Tasse mit dampfendem, würzig duftendem Kaffee, den Mahmoud zwischenzeitlich serviert hatte.
Khalil fasste sanft ihr Kinn und drehte ihr Gesicht, bis er die Wunde auf ihrer Wange untersuchen konnte. Wortlos goss er aus einem goldenen Krug etwas Wasser über ein Tuch und tupfte dann vorsichtig ihre Verletzung ab. Die Nähe seines nur dünn bekleideten Körpers, seine sanfte Berührung und der warme Hauch seines Atems ließen sofort ihr Herz schneller schlagen. Ein unwiderstehlicher, beinahe animalischer Magnetismus ging von ihm aus, der sie immer wieder in seinen Bann zog.
„Wie ist das hier passiert?“, fragte er jetzt leise.
„Ich – ich bin in einen Stand mit toten Füchsen gerannt. So etwas wäre in England kein Verkaufsschlager“, versuchte sie zu scherzen. „Und als ich schnell da wegwollte, habe ich mir den Kopf an einem rostigen Eisenstück gestoßen.“
Sichtlich amüsiert, betupfte er weiter ihre Wunde, lachte, dass seine weißen Zähne blitzten, und erklärte:
„Du bist in einen Kräuterladen geraten, in dem man Heilmittel und Tinkturen kaufen kann – und Magie. In meinem Fall
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