Julia Gold Band 53
Barbiere loszueisen. Staunend beobachtete sie, wie diese Männer mit mörderisch aussehenden Rasiermessern ihren Kunden die Köpfe kahl schoren. Schließlich blieb er vor einem niedrigen Zedernholztor in einer verwitterten ockerfarbenen Mauer stehen und bediente den Türklopfer, der die Glück bringende Hand der Fatima darstellte.
Auf der Innenseite des Tores wurden sie mit tiefen Verbeugungen von einer Wache begrüßt. Der Mann trug eine makellos weiße Seidentunika, ein kurzes Cape und knielange Hosen. Quer über seine Brust war eine purpurrote Kordel gewunden, in der Farbe genau passend zu einer breiten Schärpe, und am Ende der Kordel baumelte ein langer, krummer Dolch in silberner Scheide. Diese malerische Erscheinung fand jedoch bei Hannah kaum Beachtung, da der wunderschöne, in warmes Licht getauchte Garten sie völlig verzauberte.
„Khalil! Welch ein magischer Ort! Damit rechnet man doch nicht, außen sah alles recht schäbig aus!“, rief sie begeistert.
„Nun ja, wir halten unsere Schätze gern verborgen“, meinte er sanft und schaute geduldig zu, wie sie das in kühlem Grün und Weiß gekachelte Bassin mit seinem funkelnden Springbrunnen bewunderte. „Berber zeigen ihre Reichtümer nicht gern in der Öffentlichkeit, sondern hüten sie lieber hinter verschlossenen Türen.“
„Wie wunderschön“, hauchte Hannah mit leicht geöffneten Lippen.
„Beinahe … unwiderstehlich“, stimmte Khalil mit rauchiger Stimme zu.
Ihre Instinkte rieten zur Vorsicht. Sie wagte es nicht, ihn anzuschauen, war sich jedoch bewusst, dass er sie unablässig betrachtete.
„Ja“, antwortete sie mit etwas übertriebener Fröhlichkeit. „Und ich denke, wir werden unseren Basar in England noch etwas umbauen müssen. Kann man Kacheln wie diese hier in den sanften Blau- und Grüntönen kaufen?“
„Ich kann sie für dich besorgen“, versprach er zögernd, und es klang, als müsse er seine Gedanken gewaltsam von anderen Vorstellungen entfernen.
Langsam ging sie unter den wispernden Mimosenbäumen umher. „Erzähle mir etwas über die Säulen. Und die Schnitzereien da sind so fein, dass sie wie Spitze aussehen. Sind sie aus Gips?“
„Ja, das sind sie. Sie erinnern an Granada in Spanien, nicht wahr? Unser Sultan herrschte einmal über ganz Nordafrika und über große Teile von Spanien, dadurch ist der Einfluss der maurischen Kultur Andalusiens stark zu spüren. An den Schnitzereien wurde fünfundzwanzig Jahre lang gearbeitet“, fuhr er mit Stolz in der Stimme fort. „Kannst du dir vorstellen, dass der Künstler lediglich Hammer und Nagel benutzte und dass er täglich ein paar Zoll breit schaffte? Ein Werk der Liebe und der Würde“, schloss er mit weicher Stimme.
„Ihr Marokkaner müsst sehr geduldig sein“, meinte sie ehrfürchtig.
„Das sind wir, bei Allah, das sind wir. Wir sind bereit, lange Zeit zu warten, wenn wir etwas haben wollen. Komm mit nach innen und schau dir die Zedernholzdecke an. Sie ist geschnitzt und bemalt. Ich denke, sie wird dir auch gefallen.“
Khalil nahm ihren Ellbogen und führte sie in einen großen, luftigen Raum. Sie sah nach oben und bewunderte die hölzerne Decke mit ihren unglaublich feinen, komplizierten Mustern. Dicke rote Teppiche bedeckten den Marmorboden, und die gekachelten Wände prangten in warmem Gold auf Blautönen des Ultramarin und des Himmels. Durch mehrere Filigranbögen fiel der Blick in weitere, ebenso prächtig ausgestattete Räume.
„Hier kannst du die vier Materialien marokkanischer Kunst sehen: Holz, Gips, Keramik und Marmor“, erklärte er. „Wir zahlten den Italienern ein Pfund Zucker für ein Pfund Marmor.“
„Dabei habt ihr das bessere Geschäft gemacht“, lachte sie. „Denn wo ist all der Zucker heute?“
Beim Plätschern der Fontäne draußen setzte sie sich auf eine der niedrigen Brokat-Ottomanen, die überall im Raum verstreut standen, jeweils von runden Messingtischchen begleitet.
Die Kellner ließen sich sehr viel Zeit – noch waren sie nicht zu sehen. Jeden Augenblick erwartete sie, eine Speisekarte gereicht zu bekommen. Wahrscheinlich befand sie sich in einer Art Vorraum, denn nirgendwo konnte sie andere Gäste entdecken.
„Wo essen wir denn?“, fragte sie neugierig.
Noch während sie sprach, erschien in einem der Türbögen ein Mann in honiggelbem Gewand, verbeugte sich vor ihnen beiden und begrüßte sie auf traditionelle Weise.
„Wo immer du möchtest, Hannah“, antwortete Khalil sanft. „Im Garten draußen unter dem
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