Julia Gold Band 53
Abendessen zugesprochen.
Wie alles in Marokko verlief auch die Mahlzeit ohne Eile bei angenehmer Plauderei, und allmählich wurde aus dem vereinbarten Waffenstillstand ein echtes Ende der Feindseligkeiten.
Die einzelnen Gerichte waren auf traditionelle Art zubereitet und ein wahrer Genuss, der begleitet wurde von kleinen, höflichen Zeremonien. Allein beim Gedanken an die zarten Gewürzkuchen mit Zuckerguss und Zimtgeschmack lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Und erst die Taubenpastete! … Wenn sie weiterhin so schwelgen wollte, würde sie sich in eine Tonne verwandeln.
Beide hatten jedes Gesprächsthema vermieden, bei dem bittere Erinnerungen wachgerufen wurden. Sie hatten den Kauf von Teppichen diskutiert und Pläne für einen Ausflug in den Hohen Atlas geschmiedet. Khalil wollte ihr dort einen ländlichen Markt zeigen, auf dem sie gewiss gute Geschäfte machen konnte. Über eine Landkarte gebeugt, hatte sie seinen begeisternden Schilderungen der Landschaft im Gebirge gelauscht.
Sie hatten viel gelacht, sich scherzhafte Wortgefechte geliefert, und Hannah fühlte, dass Khalils Begeisterung sie zunehmend ansteckte. Sowohl die argwöhnische Kälte als auch die glühende Leidenschaft waren aus seinen Blicken verschwunden, aber tausend Lichter hatten in seinen Augen gefunkelt.
Marrakesch und seine Bewohner waren ihr von ihrer freundlichsten Seite begegnet, und sie musste sich eingestehen, dass es ihr zunehmend schwerer fiel, Khalil nicht zu mögen, und das bei allem, was sie mit ihm bisher erlebt hatte. Gehörte das auch zu seinem wohldurchdachten Verführungsprogramm? Wenn ja, dachte sie, dann beginnt es schon zu wirken.
Mit einem tiefen Seufzer drehte sie sich auf die Seite und erinnerte sich streng an sein bitteres, rachsüchtiges Verhalten. Unter allem Charme grollte er ihr immer noch, und in seinen Augen war sie immer noch Freiwild.
Kurz nach Sonnenaufgang wurde sie von lautem Vogelgesang geweckt. Schnell kleidete sie sich in der kühlen Luft an und beschloss, vor dem vereinbarten Treffen mit Khalil im Café de France allein einen Spaziergang in der Altstadt zu unternehmen.
Der Bus war übervoll, und sie musste sich zwischen wohlgepolsterte Leiber quetschen. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie immer noch kein marokkanisches Geld besaß. Als sie jedoch für die Fahrkarte englische Münzen anbot und ihre Zwangslage in Zeichensprache deutlich machte, veranstalteten die Leute um sie herum eine kleine Sammlung und drückten ihr dann lächelnd den Fahrpreis in marokkanischem Geld in die Hand. Diese Großzügigkeit war überwältigend, und vergeblich versuchte sie, sich eine vergleichbare Situation in der U-Bahn einer europäischen Stadt vorzustellen.
In der ersten geöffneten Wechselstube am Marktplatz besorgte sie sich marokkanische Dirhams, und dann tauchte sie ein in das bereits jetzt pulsierende Leben der engen, dunklen Gassen. Neben einer Zimmermann-Werkstatt blieb sie stehen, um den Duft des frischen Holzes zu genießen und dem Handwerker zuzuschauen, wie er ein Tischbein an einem primitiven Schleifstab zwischen seinen Füßen drechselte.
Sofort tauchte ein Kind neben ihr auf und wollte ihr frisch geröstete Kichererbsen verkaufen – und im Handumdrehen war sie umringt von bettelnden, plappernden, lästigen kleinen Plagegeistern, die an ihrem Arm zupften, sie bedrängten und von ihr Geld verlangten. Weder Lächeln, noch eine gerunzelte Stirn, noch böse Worte halfen. Die Kinder folgten ihr beharrlich, wohin immer sie sich wandte. Es nutzte auch nichts, den Schritt zu beschleunigen – sie waren schneller und schnitten ihr den Weg ab. Das war nicht passiert, als sie mit Khalil durch den Souk geschlendert war.
Zu allem Übel gesellten sich noch zwei kräftig gebaute Halbwüchsige zu den Kindern, drängten alle anderen beiseite und boten mit überschwänglichen Gesten an, ihr den Markt und alle Sehenswürdigkeiten der Stadt zu zeigen. Schutzlos war sie ihren starrenden Augen ausgeliefert, und leicht beunruhigt fragte sie sich, wie sicher sie war mitten im Gewimmel des Souks ohne andere Europäer in Sichtweite. Wirklich Angst bekam sie, als einer der beiden jungen Männer sie mit besonders gewinnendem Lächeln und gurrender Stimme zu umschmeicheln begann.
Entgeistert stellte sie fest, dass man sie in eine Sackgasse geleitet hatte. Die beiden kräftigen Jungen kamen ihr jetzt so nah, dass sie versuchten, ihre Hüften an ihr zu reiben, während die Kinder sie weiterhin mit ihren klagenden, hohen Stimmen
Weitere Kostenlose Bücher