Julia Gold Band 53
Trennung von ihr?“
„Ich vermisse mein Zuhause“, antwortete sie kurz angebunden. „Versteh mich nicht falsch, Marrakesch gefällt mir. Was für eine schöne Gegend“, bemühte sie sich, Enthusiasmus zu zeigen. „Ziegenherden, ein Palmenmeer und Zuckergussberge.“
Er lächelte sie verführerisch an. Wie schön seine Augen sind, dachte sie. Es war zum Verzweifeln. Noch nicht einmal eine volle Stunde hatte sie mit ihm verbracht, und schon begann sie, von starkem Verlangen gepeinigt zu werden.
„Du produzierst wirklich ein wildes Gemisch von Vergleichen“, meinte er trocken.
Überrascht wandte sie sich ihm zu. „Khalil, wo hast du nur deine erstaunlichen Sprachkenntnisse her? Doch nicht nur aus der Schule?“
Er antwortete erst nach einer kleinen Weile. „Dermot hat mich unterrichtet“, sagte er dann mit leiser Stimme.
„Dermot? Oh, Khalil, willst du mir nicht endlich erzählen, wie ihr euch kennengelernt habt?“, bat sie eindringlich.
„Nun, eines Abends erschien er, ich war sechs oder sieben, ganz schön rebellisch, schwänzte ständig die Schule und bearbeitete lieber Touristen, indem ich an ihr Mitgefühl appellierte“, begann er, und sein Gesicht wurde bei den Erinnerungen weich. „Es war die Schicksalsnacht.“
„Ich verstehe nicht ganz.“
„Jedes Jahr gegen Ende des Monats Ramadan gibt es die Schicksalsnacht, in der das Leben der Männer und Frauen für das kommende Jahr besiegelt wird. Mutter war sehr abergläubisch, wenn es um Dermots Ankunft in dieser Nacht ging. Er sammelte Material für einen Artikel über Berber – damals schrieb er für Zeitungen. Sein Wagen war liegen geblieben. Ich befand mich auf dem Heimweg von irgendwelchem Unfug, traf ihn und nahm ihn dann mit zu unserem Haus, natürlich auf eine saftige Belohnung spekulierend.“
„Wie habt ihr euch denn verständigt?“
„Wir haben französisch gesprochen. Er nahm unsere Einladung an, die Nacht bei uns zu verbringen, und unterhielt sich bis in die Morgenstunden mit uns, mit meinen Geschwistern und … und mit meiner Mutter. Dabei muss ihm die Idee für ein Buch gekommen sein, das auf unserem Leben basierte.“
„Du meinst Berberfrau ?“, rief Hannah aus.
Dann wusste sie ja doch sehr viel über Khalils Mutter, denn sie musste Nerma sein, die stolze Frau in Dermots erstem Erfolgsroman, die Frau, die allein ihre wilden Söhne und ihre empfindsamen Töchter großzog. Die Frau, nach der Dermot in seiner Todesstunde gerufen hatte.
„Er war überaus charmant“, fuhr Khalil fort. „In unseren Augen war er auch immens reich. Für seine Kunst war er zu großen Zugeständnissen bereit – sogar zur Heirat. Meine Mutter war von ihm fasziniert. Sie redeten stundenlang, und wir erzählten ihm alles über uns. Wir machten ihn mit unseren Freunden, unserer Kultur, unserer Lebensweise bekannt. An dem Tag, als er sein Buch fertig hatte, packte er und ging.“ Sein Mund verzog sich zu einem zynischen Lächeln. „Aus den zwei Jahren, die er mit uns lebte, schöpfte er genug Stoff für eine ganze Reihe von Büchern.“
„Willst du damit sagen, dass er das alles nur für eine authentische Geschichte tat?“, fragte Hannah entgeistert.
„Das will ich. Er kehrte nie zurück“, antwortete Khalil. „Wir hatten keinen Kontakt zu ihm, und Jahre vergingen, bevor sich sein schlechtes Gewissen rührte und ihn veranlasste, uns Geld zu schicken. Mutter und er begannen wieder, Briefe auszutauschen, und sie verzieh ihm. Er war ein sehr gewinnender Mann, weißt du.“
Hannah schwieg. Sie glaubte Khalil. Dermot war zu so etwas fähig. Allerdings war es auch ein wunderbares Buch geworden. Doch dann runzelte sie die Stirn. Es konnte einfach nicht sein.
Khalil bremste, um eine Gruppe lachender Kinder vorbeizulassen, die Bündel von Walnussrinde trugen, aus der einmal Zahnstocher werden sollten. Er lachte und winkte ihnen zu.
„Aber warum hast du ihn dann besucht?“
„Versteh doch, dass ich ihn ganz und gar nicht hasste. Keiner von uns hasste ihn. Er hatte uns so viel beigebracht und den Grundstein für meinen Erfolg gelegt, durch ihn war es uns möglich, aus der bitteren Armut herauszukommen. Auf einer großen Werbefahrt für marokkanische Tourismusziele reiste ich kreuz und quer durch Europa, und ich beschloss, meine freien Tage für einen Besuch bei Dermot zu verwenden. Mutter war gestorben, und es gab einige Dinge, die sie ihm hinterlassen hatte. Es schien mir angebracht, ihn zu besuchen.“
„Mit ihm warst du sehr
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