Julia Gold Band 53
nachsichtig. Mit mir jedoch nicht“, meinte Hannah vorwurfsvoll.
„Es ist leicht, nachsichtig zu sein, wenn der Mensch einem gefühlsmäßig nicht nahesteht. In dich hatte ich mich verliebt.“
Jetzt wurde seine Aufmerksamkeit völlig von einer Gruppe Eseln und ihren Besitzern in Anspruch genommen, die ein Weiterkommen auf der Straße äußerst schwierig werden ließen.
„Hier haben wir den Berbermarkt“, sagte er schließlich, während er den Wagen zwischen Eselskarren abstellte. „Seit Jahrhunderten wird Woche für Woche dieser Markt abgehalten. Hier ändert sich nicht viel. Die Berber führen ihr eigenes Leben. Mit Regierungen haben sie nicht viel im Sinn.“
Eigentlich war dieser Markt ein unübersichtliches Durcheinander von Menschen und Waren. Hannah fühlte sich, als wäre sie in eine längst vergangene Zeit zurückversetzt worden. Fasziniert betrachtete sie das bunte Treiben.
Einzelne Menschen, manchmal ganze Familien, saßen auf dem Boden, vor sich ein paar handgefertigte Gegenstände ausgebreitet, andere thronten hinter einer verschwenderischen Fülle von Früchten und Gemüse.
Alle Esel bewegten sich in Richtung einer ummauerten Einfriedung, an deren Eingang ein Wächter stand, der bei den Besitzern der Tiere Geld einsammelte. Hannah schaute neugierig hinein und stellte fest, dass sie hier so etwas wie einen riesigen Parkplatz vor sich hatte, auf dem sich die Esel frei bewegten.
„Als Fremdenführer erzählte ich den Touristen immer, dies sei so etwas wie ein Parkhaus. Und dort drüben haben wir die Würstchenbude“, scherzte Khalil und zeigte auf eine Reihe von behelfsmäßig aufgebauten Tischen, einem Haufen Holzscheite und einer alten Öltonne als Feuerstelle, über der ein riesiger Kessel dampfte. Einer der Männer schälte mit unglaublicher Geschicklichkeit Tomaten, andere zerhackten Zwiebeln mit der Geschwindigkeit eines französischen Küchenchefs.
„Das ist faszinierend“, rief Hannah begeistert. „Die Armut allerdings weniger. Ich verstehe nur nicht, warum die Leute so arm sind. Alle Waren stammen hier aus dem Land. Wird so wenig dafür bezahlt, dass man kaum etwas verdient?“
„Verwechsle nicht die schlichte Kleidung mit Armut“, ermahnte Khalil, während er sie zwischen den am Boden ausgebreiteten Waren hindurchführte, stehen blieb, kurz handelte und einen Sack Walnüsse, einige Feigen und einen Ballen herrlicher weißer Seide erstand.
„Aber sieh diesen Mann. Er hat nur ein paar Kräuter anzubieten.“
„Möglicherweise ist er rein zum Vergnügen hier. Vielleicht hat er aber auch eine Viehherde zu verkaufen, oder er will seine Stuten decken lassen. Es ist längst nicht alles so, wie es an der Oberfläche erscheint.“
„Nein, das weiß ich“, sagte Hannah leise.
Er sah aus den Augenwinkeln zu ihr hinüber. „Dann hast du in der Tat schon dazugelernt. Sorge dich nicht um das Wohlergehen dieser Menschen. Später wirst du rohe Lehmbauten sehen, hinter deren Mauern sich Paläste verbergen. Viele der Frauen besitzen Juwelen von unbezahlbarem Wert.“
„Aber das sind Erbstücke, nicht wahr?“, vermutete sie.
„Teilweise, einiges ist aber auch neu. Unsere Regierung protegiert die Berber, weil die Landwirtschaft so wichtig ist, und gewährt ihnen zinslose Kredite und Steuerfreiheit. Schau dich nur um. Siehst du, wie gesund und wohlgenährt alle sind?“
„Dir gehört auch Land, nicht wahr?“, fragte sie und wartete darauf, dass er sein Handeln um einen großen Sack Minze abschloss.
„Ja, und du wirst es sehen, nachdem ich dir die Berge gezeigt habe.“
„Nein, danke“, erwiderte sie hastig. „Ich habe es nicht eilig, wieder in einem deiner Harems zu landen.“
„Ich will trotzdem dorthin. Meine Familie ist dort, und sie wissen, dass ich in der Nähe bin. Es wäre einfach unverzeihlich, wenn ich nicht bei ihnen hereinschaute.“
Bei allem Ärger darüber, dass er von diesen Plänen bisher nichts hatte verlauten lassen, entdeckte Hannah in sich auch eine große Neugier, sein Zuhause auf dem Lande und seine Familie kennenzulernen. Sie musste über sich selbst den Kopf schütteln. Wie konnte sie es nur zulassen, immer tiefer in sein Leben hineingezogen zu werden?
Auf diesem Berbermarkt versuchte sie zum ersten Mal allein ihr Glück beim Einkauf von Teppichen. Das Hämmern der Kupferschmiede am Stand nebenan erschwerte zwar die Verständigung, aber es gelang ihr, den Handel abzuschließen. Triumphierend kehrte sie zu ihrem Lehrmeister zurück, die Arme
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