Julia Gold Band 53
beladen mit farbenfrohen Bauernteppichen.
„Nicht schlecht“, lobte Khalil, als sie ihm den Preis nannte. Er wies sie auf die Tiermotive hin. „Daran erkennst du reine Berberware. Kein anderes moslemisches Volk würde Tiere oder Menschen abbilden, weil der Koran es verbietet. Die Berber jedoch haben ihre eigene Version des Islam herausgebildet.“
„Sie scheinen sehr unabhängig zu sein.“ Sie lächelte. „Aber warum hat der Händler meinen arabischen Gruß nicht verstanden?“
„Die Berber haben auch ihre eigene Sprache. Sie hat keine Schrift, und sie ist viel älter als das Arabische. Der überarbeitete Schreiber dort drüben muss ein wahrer Sprachkünstler sein, denn er muss jeden Satz ins Arabische oder Französische übersetzen, damit er ihn niederschreiben kann. Hast du genug gesehen?“
Sie verließen den Markt und folgten weiter der Straße, die sie durch die wunderschönen, grünen Ausläufer des Atlas in immer höhere Regionen führte. Mit zunehmender Steigung wurden die Haarnadelkurven immer enger. Diese Serpentinen beängstigten Hannah sehr.
„Ich glaube, ich kann die Höhe nicht gut verkraften“, meinte sie verzagt.
„Oh, schade. Was für ein Pech. Dann halte dich an mir fest“, antwortete er sanft und fuhr noch etwas schneller.
Schutz suchend klammerte sie sich an seine feste Schulter und wagte hin und wieder einen Blick in die steilen Abgründe. In geschützten Winkeln des Gesteins lag Schnee, und bald gesellte sich auch noch Glatteis zu den Gefahren dieser Wegstrecke. Über ihnen zogen Geier und große Raubvögel ihre Kreise in der kalten, blauen Luft.
„Der Bau dieser Piste muss Jahre gedauert haben“, meinte Hannah mit kläglicher Stimme. „Ich nehme an, es ist eine alte Karawanenstraße, nicht wahr?“
„Dies hier ist nicht der ursprüngliche Weg über den Pass. Die alte Route führte durch Telouet, die Jagdgründe meines habgierigen Vorfahren Hammou Glaoui. Er kontrollierte den Abbau riesiger Salzvorkommen. Aus allen vier Ecken Afrikas kamen die Karawanen zu seiner Festung. Diese Straße hier wurde von den Franzosen ausschließlich zu dem Zweck gebaut, seine überhöhten Wegzölle zu umgehen.“
„Kilometerlange Asphaltpisten, nur um einem einzigen Mann auszuweichen?“, rief Hannah erstaunt.
„Aber was für einem Mann! Ein Herrscher, eine Autorität. Jemand, den man fürchtete. Er entschied über Leben oder Tod von Tausenden.“
Hannah schluckte. Sie versuchte, sich vorzustellen, was für ein Mann Khalil in jenen vergangenen Zeiten gewesen wäre. Zweifellos hätte er sie ohne die geringsten Skrupel ergriffen und zu seiner Konkubine gemacht.
„Das hört sich nach einem wenig umgänglichen Gesellen an.“
„Zu seiner Zeit erwartete man das von ihm, ein milderes Verhalten wäre ihm mit Sicherheit als Schwäche ausgelegt worden, besonders natürlich von den Frauen.“
Hannah lag eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, als der Wagen plötzlich ins Rutschen geriet.
„Khalil!“
Sie begrub ihr Gesicht an seiner Schulter, aber er fing das Schleudern mit sicherer Hand ab und brachte den Wagen wieder auf griffigen Grund. Zitternd in seinen Arm geschmiegt und fest an ihn gedrückt, fand sie sich wieder.
„Die Straße war breit genug“, beruhigte er sie liebevoll. „Wir waren nicht in Gefahr. Und ich bin solche Situationen gewohnt. Es ist alles unter Kontrolle.“
„Ich nicht“, gab sie leise zu und setzte sich zurück an ihren Platz.
„Ehrlich gesagt ich auch nicht“, murmelte er, nahm ihre Hand und begann, jeden ihrer Finger leidenschaftlich zu küssen, während Hannah wie gelähmt stillsaß, voller Schrecken über ihr eigenes, starkes Verlangen. Längst wusste sie nicht mehr, wovor sie mehr Angst haben sollte: Vor einem Sturz in die gähnenden Abgründe neben der Straße, vor entgegenkommenden Fahrzeugen, oder vor Khalils erregenden Lippen. Einen Augenblick lang kam ihnen die gesamte schneebedeckte Bergspitze in den Blick, als ihr Wagen um die scharfe Biegung einer Haarnadelkurve bog.
„Das ist beängstigend. Ich bin nie mit großen Höhen zurechtgekommen.“
Mit einem sanften Lächeln zog er sie wieder an sich. Sie sehnte sich so nach seiner tröstlichen Nähe, dass sie sich ohne Widerstand in seinen Arm schmiegte.
„Ja, es ist beängstigend“, wiederholte er leise. „Aber auch aufregend.“
Sie hielten an, und Hannah schaute besorgt aus den Wagenfenstern. Khalil hatte jedoch nur Augen für sie. Sanft hielt er ihr Kinn fest und sah sie lange
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