Julia Gold Band 53
Schnee einordnete, sondern zog ihren warmen Schal hervor, wickelte sich in ihn und versank in mürrisches Schweigen, während er den Wagen die Passstraße hinaufsteuerte. Am höchsten Punkt hielt er einen Augenblick wortlos an, damit sie sich umschauen konnte, und dann ging es stetig bergab.
„Wir nehmen die Lehmstraße“, informierte er sie kurz und bog in einen kaum befestigten Weg ein. „Jetzt verstehst du vielleicht, dass es nicht einmal den Römern gelang, die Bergvölker hier zu unterwerfen. Den größten Teil des Jahres waren sie hier von der restlichen Welt abgeschnitten. Deshalb konnten sie ihre eigene Identität bewahren.“
„Dermot beschrieb sie als barbarisch und gesetzlos. Bist du deiner Mutter oder eher deinem Vater ähnlich?“, fragte sie plötzlich.
„Wahrscheinlich würdest du sagen, dass ich in mir die Fehler beider Elternteile vereine“, antwortete er mit einem schiefen Lächeln. „Arroganz, Stolz und die Unfähigkeit, zuzugeben, wenn ich geschlagen bin … ein unkonventionelles Verhalten … Meine Kindheit war sehr ungewöhnlich, Hannah.“
„Ich weiß“, sagte sie ruhig.
Sie folgten wieder einer der unzähligen Serpentinen, als plötzlich vor ihnen ein roter Wasserfall den Berg hinunterstürzte, die Straße überflutete und dann weiter ins Tal donnerte.
„Halt dich fest!“
„Da willst du doch nicht etwa durch?“, rief Hannah entgeistert.
„Ich will auch nicht umkehren“, entgegnete er kurz.
Hannah klammerte sich an die Armaturen und kniff die Augen zu, als er direkt in das spritzende Wasser hineinsteuerte.
„Alles in Ordnung“, hörte sie ihn dann sagen, und sie fühlte, wie er beruhigend ihr Knie tätschelte. Das war beinahe noch schlimmer als der Wasserfall. „Ich habe alles in der Hand.“
„Als Erstes könntest du mein Knie loslassen“, wies sie ihn schnippisch zurecht.
Er lachte verschmitzt in sich hinein. Die Szenerie um sie herum wurde immer grüner, je mehr sie sich dem Tal näherten, und die breiter werdenden Wasserläufe führten immer mehr rötlichen Schlamm mit.
Und wieder mussten sie anhalten, diesmal an einem mit Felsstücken übersäten Flussbett. Khalil stieg aus dem Wagen und begutachtete die Situation. Ein großes Stück der Straße war weggeschwemmt, und in der alten Brücke, die ehemals über den Flusslauf führte, klaffte eine breite Lücke.
„So schlimm hatte ich es mir nicht vorgestellt“, murmelte Khalil mit finsterem Gesicht, betrachtete noch einmal das Flussbett und setzte sich dann wieder hinter das Steuer.
„Dann mal los“, meinte er unbekümmert und startete den Motor.
„Khalil, du musst mir deine Männlichkeit nicht beweisen“, beschwor ihn Hannah. „Ich schwöre, ich glaube dir auch so.“
„Vertraue mir, mein Herz“, lachte er und warf ihr einen ermunternden Kuss zu. Dann fuhr er los, direkt in das orangefarbene Wasser hinein, das rund um das Fahrzeug wild aufschäumte. Khalil kämpfte mit dem Lenkrad, lehnte sich mit angespanntem Gesicht und funkelnden Augen weit vor, sie hörten das Kratzen von Metall auf Stein, polterten über Felsbrocken, und um sie herum brodelte das schlammige Wasser. Hannah schloss die Augen.
„Ich versuche jetzt zu bremsen“, hörte sie Khalils Stimme.
Vorsichtig öffnete sie die Augen. Sie waren in Sicherheit! Sie drehte sich um und sah mit Schrecken das Flussbett, das sie gerade durchquert hatten. Ermutigend streichelte er ihre Schulter.
„Eine Höllenstrecke, nicht wahr?“
„Mach das nicht noch einmal mit mir“, herrschte sie ihn an.
„Was? Dein Knie berühren?“
„Durch Flüsse fahren!“, schrie sie, ernstlich erzürnt.
„Ach so. In diesem Fall müssen wir wohl in meinem Haus bleiben, bis das Hochwasser abgeflossen ist. Das kann Monate dauern“, ergänzte er trocken.
„Spar dir deine Scherze. Ich kann nicht hierbleiben, nicht einmal eine einzige Nacht!“
„Triff deine Entscheidung, wenn du meine Geschwister kennengelernt hast. Du bist willkommen, wenn du bleiben möchtest, und genauso steht es dir frei, nach Marrakesch zurückzukehren. Ich werde die Reparatur der Brücke in Auftrag geben.“
Nun, dachte Hannah, vielleicht kann Khalils Familie mir einen gewissen Schutz vor seiner Leidenschaft bieten. In diesem Moment fuhr Khalil wieder los und kündigte an, man werde bald einen guten Blick auf seine Ländereien haben. Neugierig beugte Hannah sich vor. Hinter der nächsten Wegbiegung hielt er den Wagen an, und vor ihr breitete sich eine Szenerie von atemberaubender
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