Julia Gold Band 53
Bestürzung. „Das kann ich kaum glauben. Unser Vater mochte die Amerikaner nicht.“
„Das dachte ich auch, aber Draka behauptet, der Sultan war der Meinung, diese Frau sei anders.“
Zum zweiten Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden stieg Zorn in Zayad auf, und er ärgerte sich darüber. Er war nicht romantisch veranlagt und hielt nichts von der großen Liebe, jedenfalls nicht, was ihn betraf. Er verstand das Verhalten von Männern in seiner Position – selbst von verheirateten Männern. Doch sein Vater war nicht so gewesen. Zumindest hatte er das bis jetzt geglaubt. Der Sultan hatte nie Affären gehabt. Stets hatte er erklärt, dass seine Liebe zu seiner Frau, Zayads Mutter, einmalig und über alles andere erhaben sei, dass die herkömmlichen Sitten für ihn nicht galten.
„Wie lange war unser Vater in Amerika?“, fragte Sakir.
„Drei Tage.“
„Und die Nächte verbrachte er mit dieser Frau?“
„So sieht es aus.“
„Du hast von einem Kind gesprochen“, stieß Sakir zwischen den Zähnen hervor.
„Einen Monat nachdem der Sultan nach Emand zurückgekehrt war, nahm die Frau Kontakt zu Draka auf.“
„Und?“, drängte Sakir, als Zayad verstummte.
„Sie behauptete, sie sei schwanger. Sie gab den Sultan als Vater des Kindes an. Sie wollte ihn sprechen, ihm die Nachricht übermitteln.“
„Und was hat unser Vater ihr geantwortet?“
Zayad schlenderte zur Brüstung hinüber, wo er im Anblick der rauen Landschaft, der weiten Wüste und der Berge in der Ferne seine Gelassenheit wiederzufinden hoffte. „Draka hat unserem Vater damals nichts von ihren Anrufen gesagt.“
„Wie bitte?“, fuhr Sakir auf.
„Draka war der Überzeugung, dass die Frau log.“
„Aber man hätte unbedingt Nachforschungen anstellen müssen.“
„Selbstverständlich.“ Zayad ließ seinen Blick über die ausgedehnten üppigen Parkanlagen mit den Obstbäumen und Kräuterbeeten schweifen, vor allem aber über die Grabstätte seines jüngsten Bruders. Hassan war schon vor einigen Jahren während seiner Ausbildung zum Soldaten durch einen Unfall ums Leben gekommen, doch Zayad trauerte noch immer um ihn.
Schmetterlinge nippten an den roten und violetten Blüten auf dem Grab. Er sah darin ein Symbol dafür, dass Hassans Seele noch zugegen war. In diesem Moment wusste Zayad, dass er nach seinem Geschwister suchen musste. Er musste feststellen, ob dieser Mensch tatsächlich existierte.
„Woran denkst du, Bruder?“, fragte Sakir.
Zayad drehte sich um und wandte der geliebten Landschaft den Rücken zu. „Diese Angelegenheit ist etwas Persönliches, Familiäres, und sie muss geklärt werden. Ich denke, wir sollten dem nachgehen.“
Sakir nickte. „Ja, wir müssen das Kind finden.“
„ Ich werde das Kind finden.“
„Aber …“
„Wie du schon sagtest, Bruder, hast du eine schwangere Frau zu Hause, die dich braucht. Du solltest sie nicht länger als unbedingt nötig allein lassen. Ich komme mir egoistisch vor, weil ich dich hergebeten habe. Aber ich fand, diese Angelegenheit ließ sich nicht am Telefon besprechen.“
„Da hattest du ganz recht.“
„Und ich habe recht, wenn ich sage, dass du jetzt an Ritas Seite gehörst.“
Sakir kniff die Lippen zusammen, doch er nickte. „Wir müssen die DNS des Kindes analysieren lassen.“
„Das wird geschehen. Aber es handelt sich nicht um ein Kind, Sakir.“
„Natürlich. Er muss ja inzwischen auch ein erwachsener Mann sein.“
Mit einer raschen Bewegung spießte Zayad den Brief mit der Schwertspitze auf und hielt ihn seinem Bruder hin. „Lies den letzten Absatz.“
Sakir zog das Blatt von der Klinge und begann dann zu lesen.
Aufmerksam beobachtete Zayad seinen Bruder. Er sah, wie sich dessen Neugier in Unbehagen und schließlich in Erschrecken wandelte.
Als Sakir aufblickte, hatte er die Augen weit aufgerissen. „Ein Mädchen?“
„Ja.“ Zayad war ebenso verblüfft gewesen, als er das gelesen hatte. Nachdem der Sultan drei Söhne gezeugt hatte, war ihm der Gedanke, sie könnten eine Schwester haben, gar nicht gekommen.
„Und wo ist sie?“, wollte Sakir wissen.
Zayad trat an den Tisch, nahm das Glas vom Tablett und stürzte den Pflaumensaft in einem Zug hinunter. „In einer Stadt, die etwa eine Stunde von Los Angeles entfernt liegt. Der Ort heißt Ventura.“
„Wann willst du aufbrechen?“
„Morgen früh. Ich habe bereits Ermittlungen eingeleitet. Aber ich brauche mehr Informationen über diese Frau und ihr Leben, bevor ich mich ihr
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