Julia Liebeskrimi Band 09
Schreck. Videobänder? Was denn um Himmels willen für Videobänder?
Er schaute gehetzt den Flur hinunter und suchte nach irgendwelchen Anzeichen für Überwachungskameras, konnte jedoch nirgends etwas entdecken. Er war so überzeugt gewesen, die Umgebung, in der er Tag für Tag arbeitete, genau zu kennen, dass er sich gar keine Gedanken gemacht und an nichts anderes als an die Medikamente der Mädchen gedacht hatte. Wenn er Pech hatte, konnte ihn das jetzt teuer zu stehen kommen.
Er schnappte sich seine Karre und rannte fast zum Angestelltenaufzug. Der Schweiß rann ihm über den Rücken, und sein Magen rebellierte, während er ungeduldig auf den Aufzug wartete. Hinter sich hörte er das leise Ding-Dong, als der öffentliche Aufzug im dritten Stock hielt, dem das kaum wahrnehmbare Zischen folgte, das anzeigte, dass die Türen auseinanderglitten. Er zwang sich, sich nicht umzudrehen. Er durfte sich nicht umdrehen. Er hielt einfach den Atem an und wartete.
11. KAPITEL
Mary schlich auf Zehenspitzen aus dem Bad, die Haut immer noch feucht vom Duschen. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war, weil ihre Uhr kaputtgegangen war, als Howard Lee sie in den Van gestoßen hatte, aber sie hatte den überwältigenden Drang verspürt, sich zu waschen.
Sie zerrte an ihren verknitterten Kleidern und wünschte sich, etwas Sauberes zum Anziehen zu haben, doch dann sah sie, dass die beiden Mädchen endlich eingeschlafen waren, und dachte nicht mehr daran. Obwohl sie sich nichts sehnlicher wünschte, als endlich wieder zu Hause zu sein, und ihr das Herz schwer wurde, wenn sie sich ausmalte, was für Ängste Daniel und Hope um sie ausstanden, lag es hier doch zumindest an ihr zu verhindern, dass die beiden Mädchen diesem Mann schutzlos ausgeliefert waren.
Am liebsten wäre sie nackt unter die Laken gekrochen, aber sie konnte es unter keinen Umständen riskieren, dass Howard Lee sie so fand. Er hatte einfach entschieden, dass sie die Mutter der Mädchen sein sollte. Jetzt fehlte ihr nur noch, dass er entschied, dass sie auch noch seine Frau sein sollte.
Gerade als sie ins Bett steigen wollte, fiel ihr Blick wieder auf die Treppe. Sie runzelte die Stirn. Obwohl sie todmüde war, würde sie es nicht wagen einzuschlafen, das wusste sie jetzt schon. Denn was wäre, wenn er, während sie schlief, herunterkäme und eins der Mädchen mitnähme, um sich an ihm zu vergehen?
Nachdenklich schaute sie wieder auf die Betten, als sie einen Einfall hatte. Kurzerhand schob sie das Bett, in dem sie schlief, vor das der Mädchen. So. Wenn Howard Lee jetzt eins der Mädchen mitnehmen wollte, würde er erst an ihr vorbeimüssen.
Mit hängenden Schultern ließ sie sich auf der Bettkante nieder und streifte ihre Schuhe ab, dann streckte sie sich auf dem Bett aus und deckte sich zu. Der Schein der Nachttischlampen warf unheimliche Schatten an die Wände, von denen sie sich plötzlich einbildete, sie könnten zum Leben erwachen. Nachdem sie sich eine Weile gut zugeredet hatte, begann sie sich langsam zu entspannen. Im Moment war außer ihnen niemand hier.
Kurz vor dem Einschlafen kam Mary ein Gedanke, der ihr bisher noch nie gekommen war. Vielleicht gab es ja nicht nur einen Grund dafür, dass sie auf diese Zeitreise geschickt worden war. Vielleicht ging es ja gar nicht allein darum, dass sie mit Daniel und Hope eine zweite Chance bekam. Sie dachte an jenen Tag zurück, an dem sich alles verändert hatte. Sie hatte an einer roten Ampel gewartet und dabei mit einem Ohr mit angehört, wie sich die beiden Frauen vor ihr über die vermissten Mädchen unterhalten hatten. Kurz darauf hatte sie den Antiquitätenladen entdeckt und war hineingegangen.
Mittlerweile hatte Mary die schier unglaubliche Tatsache akzeptiert, dass sie eine Zeitreise in die Vergangenheit angetreten und damit den Lauf ihres eigenen Schicksals ebenso geändert hatte wie den von Daniel und Hope. Zugleich aber hatte sie das Schicksal dieser Kinder ebenfalls verändert. Und Howard Lees Schicksal auch, weil er sie und nicht noch ein drittes Mädchen entführt hatte. Und weil Hope nicht tot war, sondern lebte, hatte sie der Polizei eine Personenbeschreibung des Entführers liefern können.
Früher hätte Mary das alles für ziemlich weit hergeholt gehalten, aber jetzt sah sie das anders. Zufrieden darüber, dass sie, egal ob es ihr nun gefiel oder nicht, derzeit am richtigen Ort war, kuschelte sie sich ein bisschen tiefer unter ihre Decke. Und schloss die Augen, ohne zu ahnen, dass ihre
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