Julia Liebeskrimi Band 09
kleine Geschäft war bis oben hin mit Wolle in allen nur erdenklichen Ausführungen und Farbtönen vollgestopft. Doch Mary interessierte sich im Augenblick nicht für das beeindruckende Angebot, sondern einzig dafür, was mit dem Laden nebenan passiert war.
„Guten Morgen“, sagte die Verkäuferin, als Mary den Laden betrat. „Was kann ich für Sie tun?“
„Ich wollte nur fragen, ob Sie mir vielleicht weiterhelfen können. Ich suche den Laden nebenan.“
Die Frau schaute sie verblüfft an. „Meinen Sie den Coffeeshop?“
„Nein, das Antiquitätengeschäft.“
Die Verkäuferin runzelte die Stirn. „Tut mir leid, Ma’am, aber ich weiß nicht, was Sie meinen. Hier gibt es kein Antiquitätengeschäft.“
Mary musterte die Frau ungläubig. „Aber ich war doch noch im September dort. Wie lange arbeiten Sie schon hier?“
„Seit sich meine Mutter zur Ruhe gesetzt hat. Das sind jetzt fast zehn Jahre.“
Marys Handflächen begannen feucht zu werden. Das ergab doch alles keinen Sinn. „Das verstehe ich nicht. Ich war vor zwei Monaten in dem Laden und habe mit einem alten Mann gesprochen. Seine Sachen waren zwar alle ziemlich eingestaubt, aber ansonsten war alles ganz normal.“
„Bestimmt haben Sie sich in der Straße geirrt“, vermutete die Verkäuferin. „Die Häuserblocks hier sehen alle ähnlich aus.“
„Nein, ich bin mir ganz sicher, dass es hier war“, insistierte Mary. „Ich erinnere mich noch genau, dass ich auf der anderen Straßenseite stand und auf den Laden nur aufmerksam wurde, weil er sich in dem Schaufenster dort gespiegelt hat.“ Sie deutete auf den Juwelier auf der anderen Straßenseite.
„Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll.“ Die Verkäuferin schüttelte ratlos den Kopf.
Bevor Mary etwas erwidern konnte, betrat eine kleine, grauhaarige Frau den Laden.
„Da kommt meine Mutter“, sagte die Verkäuferin sichtlich erleichtert. „Sie hat ihr ganzes Leben hier verbracht. Vielleicht kann sie Ihnen ja weiterhelfen.“
Mary nickte, obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, womit die alte Frau ihr ihre Verwirrung nehmen könnte.
„Mutter, die Dame hier sucht ein Antiquitätengeschäft. Sie dachte …“
„Es war da, wo jetzt der Parkplatz ist, zwischen diesem Laden und dem Coffeeshop“, fiel ihr Mary ins Wort. „Ich war im September hier.“
Die alte Frau runzelte die Stirn. „Nein, Honey … Sie müssen sich irren. Auf diesem Parkplatz ist schon seit Ende der Zwanzigerjahre nichts mehr.“
„Aber das ist unmöglich. Ich weiß ganz genau, dass ich dort war“, beharrte Mary. „Der Laden nannte sich Time After Time und war bis unter die Decke vollgestopft mit verstaubten, alten Sachen.“
„Das kann nicht hier gewesen sein“, widersprach die alte Frau entschieden. „Als ich noch ein Kind war, hatte nebenan ein Mann namens Saul Blumenthal einen Laden mit alten Möbeln. Er wohnte mit seiner Frau und seinem kleinen Jungen im ersten Stock. Eines Nachts, als Saul mit einem Kunden unterwegs war, brach ein Feuer aus. Bei seiner Rückkehr war sein Haus abgebrannt und seine Familie tot. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, es war eine große Tragödie damals.“
„Nein“, murmelte Mary, während sie die traurigen Augen des alten Mannes vor sich sah. „Das ist nicht möglich.“
Die alte Frau zuckte die Schultern. „Es war aber so.“
„Und was ist aus Saul Blumenthal geworden?“, fragte Mary.
„Oh, das war das Traurigste an der ganzen Geschichte. Er hat sich zwei Tage später in dem abgebrannten Haus aufgehängt.“
Mary bedankte sich und verließ den Laden. Draußen auf dem Bürgersteig blieb sie stehen und schaute auf den verwaisten Parkplatz. Saul Blumenthal? War er der Mann aus dem Antiquitätengeschäft gewesen, das nicht existierte?
Nein, sie konnte das alles nicht geträumt haben, denn Daniel hatte den Laden, in dem sie ohnmächtig geworden war, in der Zwischenzeit mehr als einmal erwähnt. Mittlerweile schrieb er ihren Ohnmachtsanfall der Tatsache zu, dass sie schwanger war. Aber sie wusste, dass das nicht der wahre Grund gewesen war.
Noch während sie auf den kleinen unbefestigten Parkplatz schaute, verspürte sie einen leichten Luftzug an ihrem Gesicht, als ob irgendetwas an ihr vorbeihuschte.
Aber da war nichts.
Sie bekam eine Gänsehaut. Sie hatte keine Erklärung für das, was ihr passiert war, und je länger sie so dastand und darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher erschien ihr die ganze Sache. Es gab alle möglichen
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