Julia Liebeskrimi Band 09
verweigert. Seiner Einmischung war es zu verdanken, dass sie so lange keine Dreherlaubnis bekommen hatte. Er hatte sogar verschiedene Indianergruppierungen aufgehetzt, gegen die Ausbeutung ihrer heiligen Ruinen zu protestieren. Offensichtlich hatte sich auch nach zehn Jahren sein tief sitzender Groll immer noch nicht gelegt.
Ein letzter Versuch, das Projekt doch noch zu blockieren, hatte darin bestanden, dass Chavez versucht hatte, den für die Reparaturarbeiten am Staudamm verantwortlichen Ingenieur in die Auseinandersetzung hineinzuziehen, indem er ihn dazu überredet hatte, sich gegen jede Aktivität in dem Sperrgebiet hinter dem Staudamm auszusprechen.
Sydney hatte schamlos alle ihre Beziehungen von Los Angeles bis Washington D.C. ausgenutzt, um Reece Hendersons Unterstützung für ihr Projekt zu bekommen. Schließlich war es ihr auf diese Weise tatsächlich gelungen, ihn auf ihre Seite zu ziehen.
Um zu verhindern, dass die Reparaturarbeiten durch die Dreharbeiten gestört wurden, hatte er seine Einwilligung jedoch an die Bedingung geknüpft, dass Sydney sich jeden Tag mit ihm abstimmte. Hendersons kurz angebundene Faxe auf ihre anfänglichen Bitten hatten ein Zähneknirschen bei ihr ausgelöst, aber sie dachte gar nicht daran, sich von irgendeinem Holzkopf ihren dicht gedrängten Zeitplan durcheinanderbringen zu lassen. Sie hatte nur zwei Wochen, um eine Legende auf Videofilm festzuhalten … und den Zauber ihrer Jugend einzufangen.
Für einen Moment fielen ihr die Augen zu. Sie sollte ins Motel zurückfahren und zusehen, dass sie ein paar Stunden Schlaf bekam, bevor der Rest der Crew eintraf. Im Lauf der Jahre hatte sie gelernt, wie wichtig ausreichende Ruhe gerade in Stresssituationen war. Und noch wichtiger war, dass sie ihre fünf Sinne beisammenhatte und in der Lage war, ihren Charme spielen zu lassen, wenn sie morgen früh diesen Henderson kennenlernte.
Sie beschloss, sich noch ein paar Minuten zu gönnen. Noch ein kleines bisschen Frieden, bevor die Hektik begann. Noch einen Moment der Stille mit ihrem Vater und ihren Träumen.
Weniger als eine halbe Stunde später wurde diese Stille durch ein Donnerrumpeln erschüttert. Viel zu schnell verschwand der Mond hinter einer Zusammenballung schwarzer Gewitterwolken.
Sydney hob den Kopf und kaute an ihrer Unterlippe, während sie zu den Blitzen aufschaute, die die Wolken von innen heraus erhellten. Verdammt, schon wieder drohte einer der für diese Jahreszeit unüblichen Stürme, unter denen der Südwesten in diesem Sommer zu leiden hatte.
Diese Unwetter konnten ihr ihren gesamten Zeitplan durcheinanderbringen. Als der Nachthimmel von dem nächsten Blitz erhellt wurde, bedachte sie die schwarze Wolkenwand mit einem bösen Blick, dann stand sie auf und ging im Laufschritt zu ihrem gemieteten Chevy Blazer. Die Blätter der Pappeln, die den Canyonrand säumten, raschelten. Der Wind hatte ihr ein paar Strähnen ihrer nerzbraunen Haare, die sie sich aufs Geratewohl unter ihre Baseballkappe gestopft hatte, herausgezerrt und peitschte sie gegen ihre Wange.
Plötzlich fuhr Sydney mit Herzklopfen auf dem Absatz herum. Da war es! Der Wind heulte durch den Canyon.
Aiiiii. Eee-aiiii .
Sie stand wie erstarrt da und lauschte dem lang gezogenen Ton, der ihr durch Mark und Bein ging. Sie konnte fast die Verzweiflung darin mitschwingen hören, die unaussprechliche Traurigkeit.
Wieder fuhr ein Windstoß durch den Canyon und durch die Blätter der Pappeln. Das Wehklagen steigerte sich zu einem durchdringenden Geheul, bei dem sich Sydneys Nackenhaare aufstellten.
Langsam, ganz langsam legte sich der Wind, und das unheimliche Klagelied wurde leiser.
„Du meine Güte“, murmelte sie und rieb sich die nackten Arme, die mit einer Gänsehaut bedeckt waren. „Das war ja ein echter Tonleckerbissen. Ich wünschte, Albert hätte ihn aufgenommen.“
Ihr Tontechniker würde nicht vor morgen Mittag aus L. A. eintreffen, zusammen mit der Kamerafrau und der Hilfskraft, die sie für diesen Job angeheuert hatte. Nur Sydney und ihr Assistent Zack waren einen Tag früher gekommen – Sydney, um für ein paar Stunden alten Erinnerungen nachzuhängen, bevor das kontrollierte Chaos der Dreharbeiten einsetzte, und Zack, um mit dem Motel alles klarzumachen und die Termine zu bestätigen, die er schon vor Wochen telefonisch vereinbart hatte.
Sydney konnte jetzt nur noch hoffen, dass sich der Sturm bis morgen Nachmittag gelegt hatte, wenn sie die ersten Außenaufnahmen drehten …
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