Julia Quinn
für erforderlich hielte.
Worin auch immer diese bestand.
Sie spielte ein gefährliches Spiel,
das wusste sie. Sie wollte so lange wie möglich an diesem gemütlichen Ort
bleiben – hier war sie wärmer und sicherer aufgehoben als an jedem anderen
Platz, den sie sich selbst hätte leisten können. Um das zu erreichen, musste
sie ihn weiter in dem Glauben lassen – und sogar darin bestärken – dass sie
diese Carlotta war. Sie hatte keine Ahnung, wie sie das anstellen sollte; sie
konnte kein Spanisch, und sie wusste ganz gewiss nicht, welches Verhalten von
einer gefangen genommenen, an einen Bettpfosten gefesselten Verbrecherin
erwartet wurde.
Sie vermutete, Carlotta würde
versuchen alles abzustreiten. »Sie haben die Falsche erwischt«, verkündete
sie in dem Wissen, dass er ihr nicht glauben würde, während ihr die Tatsache,
dass sie die Wahrheit sagte, diebisches Vergnügen bereitete.
»Ha!« entfuhr es ihm. »Sicher können
Sie sich ein bisschen mehr anstrengen, damit Ihnen etwas Originelleres
einfällt.«
Sie zuckte die Schultern. Wieder! »Glauben
Sie doch, was Sie wollen.«
»Sie scheinen reichlich
selbstbewusst für jemanden, der so offensichtlich im Nachteil ist.«
Da hat er Recht, räumte Caroline
ein. Aber wenn Carlotta wirklich eine Spionin war, dann musste sie
unerschrocken sein. »Ich schätze es nicht, gefesselt, geknebelt, kreuz und quer
durch die Gegend geschleift und dann an einen Bettpfosten gebunden zu werden.
Nicht zu erwähnen«, fuhr sie beißend fort, »gezwungen zu sein, Ihre
beleidigende Berührung zu ertragen.«
Einen Augenblick lang schloss er die
Augen, und wenn Caroline es nicht besser gewusst hätte, hätte sie gedacht, er
litte Schmerzen. Dann schlug er sie wieder auf und betrachtete sie mit
unnachgiebigem Blick. »Es fällt mir schwer zu glauben, dass Sie es in Ihrem
auserkorenen Beruf so weit gebracht haben, ohne schon einmal durchsucht worden
zu sein.«
Darauf wusste Caroline nichts zu
erwidern, weshalb sie sich damit begnügte, ihn mit finsteren Blicken zu
bedenken.
»Ich warte immer noch darauf, dass
Sie zu reden anfangen.«
»Ich habe nichts zu sagen.« Das
entsprach sogar der Wahrheit.
»Vielleicht möchten Sie Ihre Meinung
zu diesem Punkt nach ein paar Tagen ohne Essen und Trinken noch einmal
überdenken.«
»Dann wollen Sie mich hungern
lassen?«
»Es hat schon den Willen von Männern
gebrochen, die wesentlich stärker waren als Sie.«
Das hatte sie nicht in Betracht
gezogen. Sie war davon ausgegangen, dass er sie anschreien, im schlimmsten Fall
vielleicht sogar schlagen würde, aber dass er ihr Essen und Trinken verweigern
könnte, darauf war sie nicht gekommen.
»Ich sehe, die Aussicht reizt Sie
nicht«, bemerkte er in schleppendem Tonfall.
»Lassen Sie mich in Ruhe«, fuhr sie
ihn an. Sie musste sich einen Plan zurechtlegen. Sie musste herausfinden, wer,
verflixt noch einmal, dieser Mann war. Vor allem jedoch brauchte sie Zeit.
Sie sah ihm in die Augen und
erklärte: »Ich bin müde.«
»Das kann ich mir gut vorstellen,
aber im Augenblick bin ich nicht sonderlich geneigt, Sie schlafen zu lassen.«
»Sie müssen sich keine übertriebenen
Sorgen wegen meiner Bequemlichkeit machen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass
ich am Morgen ausgeruht sein werde, wenn ich die Nacht über an den Bettpfosten
gefesselt verbracht habe.«
»Ach ja«, erwiderte er, war mit
einem Schritt bei ihr und schnitt sie mit einer raschen Drehung seines
Handgelenkes los.
»Warum haben Sie das getan?« fragte
sie argwöhnisch.
»Weil ich Lust dazu hatte. Außerdem
haben Sie keine Waffe, so dass Sie mich kaum überwältigen können, und Sie haben
keine Möglichkeit, von hier zu entkommen. Gute Nacht, Miss De Leon.«
Mit offenem Mund starrte sie ihn an.
»Sie gehen?«
»Ich habe Ihnen eine gute Nacht
gewünscht.« Dann drehte er sich auf dem Absatz um und verließ das Zimmer, während sie verständnislos auf die Tür starrte. Sie hörte, wie zwei Schlüssel
nacheinander in zwei Schlössern umgedreht wurden, bevor sie ihre Fassung
wiedererlangte.
»Liebe Güte, Caroline«, sagte sie
leise zu sich selbst, »wo bist du da nur wieder hineingeraten?«
Ihr Magen knurrte, und sie wünschte,
sie hätte etwas gegessen, bevor sie fortlief. Der Mann, der sie gezwungen hatte, mit ihm zu kommen, schien zu
seinem Wort zu stehen, und wenn er sagte, er würde ihr weder Essen noch Trinken
geben, dann glaubte sie ihm das aufs Wort.
Sie lief zum Fenster und sah hinaus.
Er hatte nicht gelogen. Es
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