Julia Quinn
sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, die Tür zu Blakes Arbeitszimmer zu
schließen. Caroline hatte in der Bibliothek jedes einzelne Wort verstanden.
Jetzt näherten sie sich bestimmt
gerade Prewitt Hall, trafen Vorbereitungen, in den verbotenen Raum einzusteigen ...
Ohne sie.
»Dumme, dumme Männer«, schimpfte sie
leise. Sie bewegte ihren Knöchel vorsichtig. Nicht das geringste Anzeichen
von Schmerzen. »Ich hätte sie eindeutig begleiten können. Und ich hätte sie
ganz bestimmt nicht Zeit gekostet.«
Vollkommen in Schwarz gekleidet,
hatten sie atemberaubend gut ausgesehen. Während sie zugeschaut hatte, wie
sie aufbrachen, war sich Caroline unglaublich unscheinbar vorgekommen. Sie
trug zwar eines der neuen Kleider, die Blake ihr gekauft hatte, aber sie fühlte
sich eher wie eine unansehnliche Taube neben diesen beiden verwegenen Raben.
Sie ließ sich an dem Tisch nieder,
auf dem sie alle Biografien gestapelt hatte. Sie hatte vorgehabt, den Abend
damit zu verbringen, sie alphabetisch nach Titeln zu ordnen, eine Aufgabe, die
sie nun mit viel mehr Heftigkeit anging, als zur Erledigung vermutlich nötig
war.
Plato kam vor Sokrates, Cromwell vor
Fawkes ... Ravenscroft und Sidwell vor Trent.
Caroline ließ Milton auf Machiavelli
fallen. Es war nicht richtig. Sie hätten nie ohne sie gehen sollen. Sie hatte
ihnen den Grundriss der Räume aufgezeichnet, aber nichts konnte eine Kenntnis
der Örtlichkeit aus erster Hand ersetzen. Ohne sie liefen sie Gefahr, den
falschen Raum zu betreten, einen Dienstboten aufzuwecken oder – sie schluckte
voller Angst – getötet zu werden.
Die Vorstellung, ihre neuen Freunde
zu verlieren, schloss sich wie eine eisige Faust um ihr Herz. Sie hatte ihr
Leben bestenfalls am Rande von Familien verbracht, und jetzt, wo sie endlich zwei
Menschen gefunden hatte, die sie brauchten – auch wenn es bloß auf dem Gebiet
der Sicherheit des Landes war – wollte sie keinesfalls tatenlos herumsitzen und
sie geradewegs in die Gefahr laufen lassen.
Der Marquis hatte gesagt, dass sie
für ihre Untersuchung von entscheidender Bedeutung war.
Und was Blake betraf ... Nun, Blake gab es überhaupt nicht gerne zu, dass sie
irgendwie in ihre Arbeit für das Kriegsministerium verwickelt war, aber
selbst er hatte eingeräumt, dass ihre Zeichnung und ihre Informationen über
die Gewohnheiten der Bewohner von Prewitt Hall überaus nützlich waren.
Sie wusste, sie würden viel
besser zurechtkommen, wenn sie bei ihnen war. Himmel, sie wussten noch nicht
einmal etwas von ...
Caroline schlug sich entsetzt die
Hand vor den Mund. Wie hatte sie nur vergessen können, ihnen von Farnsworths
Abendtee zu erzählen? Es war beinahe schon eine Art Ritual für den Butler.
Mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks trank er jeden Abend um zehn Uhr noch
einmal Tee. Es war eine seltsame Angewohnheit, aber Farnsworth bestand darauf,
sie beizubehalten. Dampfend heißer Tee mit Milch und Zucker, gebuttertem
Zwieback und Erdbeermarmelade – er verlangte nach seinem nächtlichen Imbiss und
wehe dem, der ihn dabei störte. Caroline hatte sich einmal die Teekanne
geliehen und dafür eine Woche lang ohne Decken auskommen müssen. Im Dezember.
Carolines Blick wanderte zur
Standuhr. Es war jetzt Viertel nach neun. Blake und James waren vor fünfzehn
Minuten aufgebrochen. Sie würden Prewitt Hall in etwa ...
O gütiger Gott, sie würden genau
dann dort eintreffen, wenn Farnsworth gerade dabei war, seinen Tee zuzubereiten. Der Butler mochte vielleicht schon fortgeschrittenen Alters sein, aber
er war bestimmt noch nicht gebrechlich, und außerdem ziemlich geschickt im
Umgang mit Feuerwaffen. Und auf dem Weg von seinem Zimmer zur Küche kam er
genau an dem Arbeitszimmer vorbei.
Caroline stand mit weit
aufgerissenen Augen und entschlossener Miene reglos da. Sie brauchten sie.
Blake brauchte sie. Sie würde ihres Lebens nicht mehr froh werden, wenn sie
sich nicht aufmachte, sie zu warnen.
Ohne Rücksicht auf ihren Knöchel
lief sie aus dem Zimmer direkt zu den Ställen.
Caroline ritt wie der Wind. Sie war keine elegante
Reiterin, um der Wahrheit die Ehre zu geben, aber die meisten ihrer Vormünder
hatten ihr auch nicht oft Gelegenheit gegeben, ihre Reitkünste zu
vervollkommnen. Dennoch saß sie sicher im Sattel und hatte Erfahrung mit
Pferden.
Und ganz bestimmt hatte sie nie
zuvor einen so guten Grund gehabt, in vollem Galopp voranzupreschen.
Zu dem Zeitpunkt, als sie die
Grenzen von Oliver Prewitts Besitz erreichte, zeigte
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