Julia Quinn
und dass er im Schatten von Danbury House sein Unwesen
trieb. Als James abreiste, war sie in denkbar schlechtester Laune gewesen,
mürrisch, gereizt und ungehalten.
James wand sich innerlich beim
Gedanken an die arme Elizabeth, die seine grimmige Tante die ganze letzte Woche
hatte ertragen müssen. Aber wenn das überhaupt jemand schaffte, dann war es
Elizabeth.
Noch drei Tage. Mehr würde er für
seine Londoner Nachforschungen nicht mehr investieren. Noch drei Tage, dann
würde er nach Danbury House zurückkehren, seiner Tante sein Versagen
eingestehen und Elizabeth seine Absichten mitteilen.
Noch drei Tage, und dann konnte er
sein Leben neu beginnen.
Am Freitagnachmittag war Danbury House im Belagerungszustand. Elizabeth schloss sich eine geschlagene Stunde in der Bibliothek ein, um den
Scharen von Bediensteten zu entfliehen, die dem Haus für den Maskenball am
Abend den letzten Schliff verliehen. Es gab aber kein echtes Entkommen, denn
Lady Danbury hatte darauf bestanden, dass sie sich in Danbury House umzog. Das
war ein vernünftiger Vorschlag, denn dadurch brauchte sie nicht erst nach Hause
zu gehen und dann in ihrem Kostüm wieder zurückzukommen. Allerdings beraubte
sie das aber auch der Möglichkeit, wenigstens ein paar ungestörte Momente der
Muße zu verbringen. Die Stunde in der Bibliothek zählte nicht. Wie auch, wenn
alle fünf Minuten jemand an die Tür klopfte und ihre Meinung zu den banalsten
Dingen wissen wollte! Schließlich hob sie hilflos die Hände und verwies alle an
Lady Danbury.
Als die ersten Kutschen die Zufahrt
hinaufrollten, flüchtete Elizabeth nach oben in das Zimmer, das Lady Danbury ihr für den Abend zur Verfügung gestellt hatte. Das verhasste
Schäferinnenkleid hing im Schrank, der Schäferstab lehnte an einer Wand.
Elizabeth ließ sich auf das Bett
fallen. Sie hatte keine Lust, zu früh auf dem Ball zu erscheinen. Sie rechnete
damit, den Großteil des Abends allein verbringen zu müssen, und das machte
ihr auch nichts aus. Sie wollte nur nicht, dass auffiel, dass sie allein
war. Wenn sie jedoch erst dann hinunterging, wenn das Gedränge schon groß war,
konnte sie sich einfach unter die Gästeschar mischen. Bis dahin waren Lady Danburys
Gäste sicher schon zu sehr in ihre Unterhaltungen vertieft, um ihr noch
irgendwelche Beachtung zu schenken.
Leider trafen die Gäste jedoch nicht
nacheinander ein, sondern fast alle auf einmal, und Elizabeth kannte Lady
Danbury gut genug, um zu wissen, dass diese sie wohl persönlich abholen
würde, wenn sie sich verspätete. Also erhob sie sich seufzend und zog das
Schäferinnenkostüm an, setzte die mit Federn besetzte Maske auf, die Lady
Danbury ihr ebenfalls besorgt hatte, und stellte sich vor den Spiegel.
»Ich sehe lächerlich aus«,
murmelte sie vor sich hin. »Absolut lächerlich.« Ihr weißes Kleid schien
fast nur aus Rüschen und Biesen zu bestehen und war mit mehr Spitze verziert,
als sich eine Schäferin je würde leisten können.
Das Mieder war zwar dezent, aber doch tiefer
ausgeschnitten als alles, was sie bisher getragen hatte. »Als ob Schäferinnen in einem solchen Aufzug über die Weiden laufen würden«, schimpfte
sie leise und zupfte an ihrem Kleid. Natürlich würde auch keine Schäferin eine
mit Federn besetzte Maske tragen, aber das war alles nichts im Vergleich zu
dem großzügigen Dekollete, das sie zur Schau stellte. »Nun, das spielt keine
Rolle«, beschloss sie schließlich. »Es kennt mich ohnehin niemand, und
wenn jemand zu zudringlich wird, habe ich ja noch meinen Schäferstab.« Und
damit ergriff sie ihn und verließ das Zimmer.
Ehe sie jedoch die Treppe erreichen
konnte, flog plötzlich eine Tür auf, und eine Frau, die sich als Kürbis
verkleidet hatte, stürmte heraus – und prallte geradewegs gegen Elizabeth.
Beide verloren das Gleichgewicht und stürzten. Elizabeth war als Erste wieder
auf den Beinen und sah auf die Kürbisfrau, die immer noch auf dem Boden saß.
»Soll ich Ihnen beim Aufstehen
helfen?« bot sie ihr an.
Die andere, die ihre grüne Maske in
der Hand hielt, nickte. »Gern, vielen Dank. In meinem Zustand bin ich leider
etwas schwerfällig.«
Elizabeth brauchte ein paar
Sekunden, um zu begreifen, was die Frau meinte. »O nein!« rief sie aus und
kniete sich neben sie. »Ist alles in Ordnung? Ich meine ...« Sie zeigte
auf ihre Taille, obwohl es bei dem Kürbiskostüm schwer zu sagen war, wo sich
die Taille befand.
»Mir ist nicht passiert«,
versicherte die Dame. »Nur mein Stolz ist
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