Julia Quinn
gesäubert
werden.«
Die Haushälterin nickte. »Ich schicke sofort jemanden los.«
»Wie lange wird es wohl dauern, bis der Arzt eintrifft?«
»Das hängt davon ab, ob er gerade einen Hausbesuch macht. Wenn er
daheim ist, ist der Lakai in etwa zwei Stunden mit ihm zurück.«
»Zwei Stunden!« Honoria biss sich auf die Lippe. Sie hatte so
etwas noch nie gesehen, aber davon gehört. Entzündungen wie diese konnten
schnell tödlich sein. »Wir können keine zwei Stunden warten. Das Bein muss
sofort verarztet werden.«
Mrs Wetherby sah sie verängstigt an. »Wissen Sie, wie man eine
Wunde säubert?«
»Natürlich nicht. Sie?«
»So eine nicht«, erwiderte Mrs Wetherby und warf einen
mulmigen Blick auf Marcus' Bein.
»Nun, wie würden Sie eine kleinere versorgen?«, erkundigte
sich Honoria. »Eine kleinere Wunde, meine ich.«
Mrs Wetherby rang die Hände und sah panisch zwischen Honoria und
Marcus hin und her. »Ich weiß nicht«, stotterte sie. »Ich würde eine
Kompresse machen, denke ich. Um das Gift hinauszuziehen.«
»Das Gift?«, wiederholte Honoria. Lieber Himmel, das klang ja
mittelalterlich. »Rufen Sie den Arzt«, sagte sie und versuchte dabei,
selbstsicherer zu klingen, als sie sich fühlte. »Und kommen Sie danach gleich
zurück. Mit heißem Wasser. Und Handtüchern. Und was Ihnen sonst noch
einfällt.«
»Soll ich Ihre Mutter holen?«
»Meine Mutter?« Honoria starrte sie an. Nicht dass ihre Mutter
im Krankenzimmer fehl am Platz gewesen wäre, aber warum fiel Mrs Wetherby das
ausgerechnet jetzt ein? »Ich weiß nicht. Machen Sie das, was Sie für richtig
halten. Aber beeilen Sie sich.« Mrs Wetherby nickte und lief aus dem
Zimmer.
Honoria sah wieder zu Marcus. Sein Bein lag
immer noch frei, die entzündete Wunde starrte sie an wie eine zornige Fratze.
»Oh, Marcus«, flüsterte sie. »Wie hat das nur passieren können?« Sie
nahm seine Hand, und diesmal entzog er sich ihr nicht. Er schien sich ein wenig
beruhigt zu haben, sein Atem ging gleichmäßiger als noch vor ein paar Minuten
und war es möglich, dass seine Haut nicht mehr ganz so rot war?
Oder wartete sie so verzweifelt auf irgendein Anzeichen der
Besserung, dass sie Dinge sah, die gar nicht da waren?
»Vielleicht«, sagte sie laut, »aber ich akzeptiere jedes Hoffnungszeichen.«
Sie zwang sich, sich das Bein ein bisschen näher anzusehen. Ihr Magen begehrte
auf, doch sie unterdrückte den Ekel. Sie musste anfangen, die Wunde zu säubern.
Weiß der Himmel, wie lange es dauern würde, bis der Arzt kam, und auch wenn
eine Kompresse besser mit heißem Wasser gemacht wurde, sah sie doch keinen
Grund, nicht mit dem anzufangen, was ihr zur Verfügung stand.
Marcus hatte den nassen Stoff, mit dem sie ihn hatte kühlen
wollen, quer durchs Zimmer geschleudert, daher ging sie zur Kommode und holte
sich ein weiteres Paar Unaussprechliche. Sie versuchte dabei, sich ganz darauf
zu konzentrieren, dass sie aus recht weichem Baumwollstoff gearbeitet waren.
Sie drehte sie zu einer zylinderförmigen Wurst zusammen und
tauchte ein Ende ins Wasser. »Es tut mir so leid, Marcus«, flüsterte sie
und drückte den nassen Stoff ganz vorsichtig gegen die Wunde.
Er regte sich nicht.
Sie stieß den Atem aus, den sie angehalten hatte, und sah auf den
Stoff. Er war stellenweise rot von dem Blut und gelb von dem Eiter, der aus der
Wunde lief.
Mit wachsendem Zutrauen suchte sie eine saubere Stoffstelle und
presste ihn wieder auf die Wunde, diesmal mit etwas mehr Druck als zuvor. Es schien ihm nichts weiter auszumachen, und so
wiederholte sie die Prozedur immer wieder, bis das Tuch keine sauberen Stellen
mehr aufwies.
Besorgt blickte sie zur Tür. Wo blieb Mrs Wetherby? Honoria
machte Fortschritte, doch sie war sicher, dass heißes Wasser noch besser wäre.
Sie hatte jedoch nicht vor, jetzt aufzuhören, nicht solange Marcus
verhältnismäßig ruhig war.
Sie ging zur Kommode und holte ein weiteres Paar Unaussprechliche
heraus. »Ich weiß nicht, was du anziehen sollst, wenn ich mit dir fertig
bin«, bemerkte sie, die Hände in die Hüften gestemmt.
»Ab ins Wasser«, machte sie sich selbst Mut und tauchte den
Stoff ein. »Und dann wieder auf die Wunde.« Diesmal drückte sie fester.
Man musste auf Schnitte und Kratzer pressen, um die Blutung zu stillen, das
wusste sie. Zwar blutete er nicht direkt, aber etwas Druck konnte ihm gewiss
nicht schaden.
»Und damit meine ich, auf lange Sicht schaden«, erklärte sie
Marcus, der zum Glück immer noch bewusstlos war.
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