Julia Saison Band 01
die Ziegen jetzt rein.“
Er verschwand kurz, und dann hörte sie das Meckern und das Trappeln der Hufe. Gilda führte wie üblich die Herde an. Alle rannten herein, steckten die Köpfe durch die Gitterstäbe und begannen gierig, das Heu zu fressen.
Binnen Minuten stand die ganze Herde genüsslich mampfend Schulter an Schulter. Lilian hielt nach der kleinen Tallulah Ausschau und entdeckte sie zwischen zwei großen Ziegen, wo sie sich abmühte, an das Futter heranzukommen. „Komm hierher, Tallulah“, rief sie und wedelte dabei mit einem Heubüschel. Die kleine Ziege blickte hoch und kam dann zu Lilian gelaufen.
Lilian hätte schwören können, dass das Tier ihr einen dankbaren Blick zuwarf, bevor es sich über das Heu hermachte.
„Sie mag dich.“
Lilian erschrak, denn Christopher stand plötzlich direkt hinter ihr.
„Wenigstens einer, der mich mag“, bemerkte Lilian trocken.
„Okay, ich habe verstanden“, erwiderte Christopher. „So, und jetzt melken wir.“
Als sie wieder in den Melkraum hinübergingen, sah Lilian, wie die Ziegen schon die Köpfe reckten. „Mögen sie etwa gerne gemolken werden?“
Er lächelte breit. „Sie freuen sich auf die Körner. Solange sie nur fressen können, lassen sie alles mit sich machen.“ Er drehte sich zu einer kleinen Musikanlage um und suchte eine CD aus. Lilian sah ihm verdutzt zu.
„So, noch ein wenig Musik, und dann kann es losgehen.“
„Die Ziegen mögen Musik?“
„Und wie. Sie sind große Blues- und Classicrock-Fans.“
„Unglaublich. Ist das auch deine Lieblingsmusik?“
„Überhaupt nicht. Ich bin ein absoluter Mozart-Fan.“
Die Ziegen reihten sich in die beiden Melkständer ein, steckten die Köpfe durch die Stäbe und fingen an, die Körner in den Trögen davor zu fressen, wobei sie vor Begeisterung mit ihren Stummelschwänzen wackelten.
Lilian schüttelte lachend den Kopf. „Sie haben doch gerade erst eine Viertelstunde lang gefressen.“
„Das war nur die Vorspeise.“ Während die Ziegen fraßen, legte Christopher die Sperrstangen um ihre Hälse.
Lilian folgte ihm in den Gang zwischen den beiden Melkständern. „Zuerst desinfizieren wir die Euter, damit sie sich nicht entzünden.“ Er steckte jede einzelne Zitze in einen Becher mit Jodtinktur. Dann holte er eine Metallkanne. „Jetzt streichen wir mit der Hand die Reste der alten Milch heraus.“
„Wir?“
„Wir. Du fasst die Zitzen ganz oben an und drückst deine Finger darum.“
Vorsichtig streckte Lilian die Hand aus. Der Euter fühlte sich warm an.
„Nur zu, keine Angst. Das ist Mabel, die ist zahm. Gilda übernehme ich lieber.“
Wie zur Bestätigung stampfte Gilda mit dem Fuß auf.
Lilian drückte zu und sah, wie die Milch in die Kanne schoss. „Ich hab’s geschafft!“, rief sie.
Da hatte sie die ganze Welt bereist und berühmte Leute kennengelernt, war in Modezeitschriften abgebildet gewesen, und jetzt konnte das Ziegenmelken sie begeistern. Sie wunderte sich über sich selbst.
„Gut gemacht. Wenn du fertig bist, bringen wir die Pumpen an.“ Er streifte durchsichtige Plastikröhren über die Zitzen, und sofort begann die Milch herauszuschießen.
„Ist das nicht toll?“, rief Lilian begeistert.
„Glaub mir, wenn du das jeden Tag zweimal machst, ist es nicht mehr so aufregend.“
„Du nimmst mir aber auch jede Illusion.“
Er sah sie an, und für eine Weile blickten sie sich unverwandt in die Augen. Lilian merkte, wie sie rot wurde.
Hinter der Falltür hörte sie plötzlich ein Stampfen. „Ich glaube, da wollen noch mehr Ziegen gemolken werden.“
Noch nie in ihrem ganzen Leben war Lilian dermaßen müde gewesen. Ihr kam es vor, als seien Wochen vergangen, seit sie auf der Farm angekommen war. Mit bleiernen Füßen stolperte sie die Hintertreppe zur Küche hoch.
„Pass auf“, sagte Christopher hinter ihr und hielt sie am Ellbogen fest.
Sie gähnte. „Aber dann muss ich ja meine Augen offen halten.“
„Wo wohnst du eigentlich?“, fragte Christopher.
„Oh, Mist. Das habe ich ganz vergessen. Bestimmt gibt es doch ein Hotel hier, oder?“
„Schon, aber ich fürchte, du bist im Moment nicht in der Lage, dorthin zu fahren.“
Sie gähnte wieder. „Ich schlafe im Auto.“
Er schüttelte den Kopf. „Du kannst im Gästezimmer schlafen.“
„Okay“, sagte sie gähnend. „Aber nur, wenn es dort eine Dusche gibt.“
„Von mir aus kannst du so lange duschen, wie du willst, falls du dabei nicht einschläfst.“
Gerade hatte Lilian eine
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