Julia Saison Band 01
läuternde Wirkung überflügelt.“
„Ich kenne niemanden, der eine hässliche Scheidung einfach so wegsteckt“, versicherte er. „Sie sind eine gute Mutter, wenn Sie die Kinder nicht in die Sache hineinziehen.“
„Klingen Sie etwa überrascht?“
„In meiner Branche stelle ich immer wieder fest, dass geschiedene Paare so viel Zeit damit vergeuden, einander zu hassen, dass sie selten die Zeit finden, an ihre Kinder und daran zu denken, was die Feindseligkeiten denen antun.“
Carly legte den Kopf zur Seite und musterte ihn. „Sie sind offensichtlich noch abgestumpfter als ich, Lieutenant.“
Er störte sich nicht an ihren Worten, weil sie zutrafen. „Also Dinner am Sonntag um fünf?“
Diesmal schüttelte sie nicht den Kopf, sondern nickte zustimmend. „Ich muss aber um neun wieder zu Hause sein, wenn mein Exmann die Kinder zurückbringt.“
„Ist das ein Ja?“
„Wenn Sie das nicht begriffen haben, ist es wirklich ein Glück, dass Sie für PR zuständig sind und keine Kriminalfälle aufklären müssen. Ja, es ist ein Ja, Lieutenant. Solange Sie nicht auf die Idee kommen, dass von meiner Seite aus mehr dahintersteckt. Ich will bloß die Gelegenheit nutzen, Andy zu ärgern, ohne wegen Missachtung des Gerichts angeklagt zu werden.“
„Ich schwöre: keine Illusionen über Zuneigung. Aber es ist besser, wenn Sie mich ab sofort Chuck statt Lieutenant nennen.“
„Einverstanden.“
Zögernd schlug er vor: „Und wir sollten uns duzen, um meine Mutter zu überzeugen.“
„Meinetwegen.“
„Ich hole dich um halb fünf ab.“
„Okay.“ Sie wandte sich ab und trat zu einem Van.
Es war eine ausgesprochene Familienkutsche. Chuck hätte wetten können, dass Carly einen Jeep fuhr. Robust, kompromisslos, widerstandsfähig und geländegängig. Wie sie selbst. Doch sie stieg in einen Minivan mit weicher Linienführung.
„Ich brauche deine Adresse!“, rief er, bevor sie einstieg.
„Die ist auch aktenkundig. Bestimmt gelingt es dir, sie herauszufinden.“
Er lächelte über ihre schnippische Antwort und beobachtete, wie sie aus der Parklücke fuhr.
Im Gerichtssaal hatte Chuck zunächst wenig begeistert auf Andys Urteilsspruch reagiert. Doch inzwischen versprach das Projekt Gefahrenbewusstsein überaus interessant zu werden.
3. KAPITEL
Januar
Chuck klopfte sich den Schnee von den Stiefeln, bevor er die Veranda des kleinen Bungalows betrat und an die Tür klopfte.
Als Polizist besaß er ein gutes Gespür für Gegenden. Dieses Viertel im Osten von Erie gehörte eindeutig zur Mittelschicht. Er hielt es für ruhig, überwiegend ohne außergewöhnliche Vorkommnisse und bestens geeignet, um Kinder darin aufzuziehen.
Carly öffnete und runzelte die Stirn. „Du hast mich also gefunden.“
„Zum Glück habe ich ein gesundes Ego. Sonst hätte diese Begrüßung ernsten Schaden angerichtet.“
„Leider sehe ich keine Chance auf eine langfristige Beschädigung deines Egos“, konterte sie kess. Sie ließ ihn in den Flur eintreten, der sehr heiter wirkte. Nicht, dass es sonnenüberflutet war. Denn in Erie war es zu dieser Jahreszeit meistens bewölkt, und dieser Tag bildete keine Ausnahme.
Nein, der Raum wirkte heiter wegen der Farbenpracht: leuchtend gelbe Wände; Garderobenmöbel in Rot, Blau, Grün und Orange; zahlreiche impressionistische Gemälde; ein bunt gerahmter Spiegel.
In einem anderen Haus hätte das Dekor womöglich überspannt gewirkt, in Carlys erschien es Chuck jedoch angemessen und einladend. Nach ihrer Bemerkung über sein Ego bezweifelte er allerdings, dass sie ihn herzlich willkommen hieß. „Aua, das tat weh. Anscheinend wird es, gelinde ausgedrückt, ein interessanter Abend.“
„Möchtest du lieber absagen?“, fragte sie hoffnungsvoll.
„Nein. Du etwa?“
Anstatt zu antworten, konterte sie: „Dieser Plan wirkt auf mich nicht wie der eines gestandenen Polizisten. Ich meine, Ihr Jungs solltet eigentlich hartgesotten und tapfer sein. Ein Date vorzutäuschen, weil du Angst vor deiner Mutter hast, kommt mir eher feige vor.“
„Na hör mal! Ich bin öfter bei Straßenkämpfen, Drogeneinsätzen und häuslicher Gewalt tatkräftig eingeschritten, als ich zählen kann. All das schreckt mich nicht ab. Ich bin vorsichtig, aber nicht ängstlich. Aber meine Mutter in Mission Verkupplung ? Dagegen ist man machtlos. Das ist wie eine Naturgewalt, die jeden überrollt, der sich ihr in den Weg stellt. Vor allem mich.“
Früher hatte seine Mutter ihre Aufmerksamkeit zwischen ihm und
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