Julia Saison Band 01
ist Euer Ehren, Richter Bradley oder eventuell Anderson, da wir jetzt nicht bei Gericht sind.“
„Ich denke, mir ist Andy lieber.“
„Ich könnte Sie wegen Missachtung belangen.“
Plötzlich beunruhigt wandte sie sich an Chuck: „Könnte er das wirklich?“
„Keine Ahnung, ob der Grundsatz außerhalb des Gerichts auch gilt.“
Sie wusste, dass sie sich entschuldigen sollte. Vor der Scheidung hätte sie es getan. Unter Deans Einfluss hatte sie gelernt, Wogen zu glätten, statt Unruhe zu stiften. Und vielleicht sagte sie gerade deswegen: „Dann muss ich wohl mit dem Risiko leben, Andy.“
„Ist da draußen alles in Ordnung?“, rief Linda aus der Küche.
„Ja, alles klar“, erwiderte Carly. „Ich wollte gerade den Tisch abräumen, als Andy mir gedroht hat, mich wegen Missachtung des Gerichts zu belangen.“ Sie seufzte pathetisch.
Linda steckte den Kopf zur Tür herein. „Anderson Bradley, ich lasse nicht zu, dass du bei meinem Sonntagsessen so mir nichts, dir nichts Androhungen austeilst, hörst du?“
„Ja, in Ordnung“, erwiderte er kleinlaut.
„Gut. Ihr Jungs helft gefälligst, den Tisch abzuräumen.“
Anderson sammelte gehorsam die Schüsseln ein. „Fühlt sich hier noch jemand wie in der Grundschule?“
„Ja“, erwiderte Carly. „Ich hatte gerade den überwältigenden Drang, ä tsch bätsch zu sagen und Ihnen die Zunge rauszustecken.“
Seine Mundwinkel hoben sich leicht, als ob er lächeln wollte. „Falls es mir gestattet wäre, Androhungen wegen Missachtung in diesem Esszimmer auszusprechen, wäre dafür eine fällig.“
Sie wollte Chuck folgen, der einen Stapel Teller in die Küche trug, doch Anderson berührte sie am Ellbogen und hielt sie zurück.
„Bitte glauben Sie mir, dass es nicht in meiner Absicht lag, Ihnen das Leben schwerer zu machen. Ich dachte, dass ein paar Sozialstunden ein Spaziergang für Sie wären. Mir erlaubt diese Regelung, den Eintrag in Ihrem Führungszeugnis schneller zu löschen. Nämlich schon Ende Januar anstatt erst in einem Jahr. Es ist schwer, mit einer Vorstrafe einen Job zu finden.“
„Das könnte sein.“
„Es ist so, glauben Sie mir. Vor Gericht gestatte ich mir keine Nachsicht. Ich stehe in dem Ruf, eine harte Nuss zu sein, und ich muss zugeben, dass es von Vorteil für mich ist. Deswegen habe ich dort mit dieser Begründung hinterm Berg gehalten. Also sagen Sie es niemandem, okay?“
Sie musterte den Mann, der zu jung für einen Richter aussah, und verspürte einen Anflug von Schuldgefühl. „Ich werde kein Wort verraten.“
Wie aufs Stichwort kam Chuck herein. „Was willst du nicht verraten?“
„Keine Ahnung, wovon du redest.“ Sie zwinkerte Anderson zu und ging in die Küche.
„Sie ist eine interessante Frau“, hörte sie ihn sagen. Chucks Erwiderung verstand sie leider nicht.
Am späten Abend, während der Rückfahrt zu ihrem Haus, musterte Carly verstohlen Chucks Gesicht im Schein der Straßenlaternen. Er sieht sehr sympathisch aus, dachte sie unwillkürlich. Im Gegensatz zu Dean, der klassisch geschnittene, geradezu aristokratische Züge aufwies, war Chuck eher …
Niedlich . Das brachte sie zum Lächeln. Sie war sich sicher, dass es Eries Beauftragtem für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit gar nicht gefallen hätte, als niedlich bezeichnet zu werden.
Nach einem flüchtigen Blick in ihre Richtung fragte er: „Was ist denn so lustig?“
„Ich habe nur nachgedacht.“
„Wir kennen uns zwar noch nicht lange, aber ich fürchte, dein Denken kann gefährlich sein.“
Sie seufzte. „Das höre ich nicht zum ersten Mal.“
Er hielt vor ihrem Haus an. „Ich möchte mich bedanken, dass du mir heute ausgeholfen hast.“
„Gern geschehen. Ich habe mich köstlich amüsiert“, erwiderte Carly ebenso zu ihrer eigenen wie zu seiner Überraschung. „Ich liebe meine Kinder, aber es ist schön, zur Abwechslung mal mit Erwachsenen zu reden. Und ich muss zugeben, dass ich mich irgendwie auf Dienstag freue. Ich habe sehr viele Informationen für die Schüler.“
„Großartig.“
„Ich möchte dir für die Einladung danken. Anderson zu ärgern hat echt Spaß gemacht. Wo war eigentlich deine Schwester? Ich hätte sie gern kennengelernt.“
„Oh. Ich dachte, ich hätte es dir erzählt.“ Chuck schwieg einen Moment und sagte dann sehr sachlich: „Julia ist letztes Jahr gestorben.“
Sie dachte daran, wie sie Anderson aufgezogen hatte, und fühlte sich scheußlich. „Es tut mir sehr leid.“
„Uns allen. Sie
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