Julia Saison Band 05
lief.
Collin hatte ihnen zwei Gläser Wein eingeschenkt, auf dem Tisch lag ein Zettel. Die Szene wirkte fast festlich. Abgesehen von seinem ernsten Gesichtsausdruck.
„Was ist los?“
„Cassidy hat auf die E-Mail geantwortet, die wir vorhin geschickt haben. Sie hatte heute ihren ersten Rettungseinsatz.“
Kein Wunder, dass er so besorgt wirkte. „Geht es ihr gut?“
„Ja. Sie haben ihre Leute rausgeholt. Aber man hat auf sie geschossen.“
„Oh nein.“
Er hob sein Glas hoch und nahm einen großen Schluck. Sabrina setzte sich neben ihn und legte ihm die Hand aufs Knie. „Kein Wunder, dass du so bleich bist.“
„Das war der allererste Einsatz.“ Collin drehte sich zu ihr um, aber er sah sie nicht wirklich. „Wenn das schon beim ersten Mal passiert – wie konnte ich nur so dumm sein, sie gehen zu lassen?“
„Das war nicht deine Entscheidung“, erinnerte sie ihn. „Cassie ist selbst für sich verantwortlich. Sie ist gut ausgebildet und stark. Was sie wieder einmal unter Beweis gestellt hat.“
„Das will ich nicht hören“, knurrte er. „Und auch nichts von diesem Schwachsinn, ob ein Glas halb voll oder halb leer ist.“
Er wollte sie nicht verletzen. Das wusste Sabrina. Trotzdem versetzten ihr seine Worte einen Stich. „Du willst jetzt allein sein. Das verstehe ich.“
„Nein!“ Als sie aufstand, hielt er sie fest und presste sein Gesicht gegen ihren Bauch. „Es tut mir leid. Das waren nur die Angst und die Wut. Meine Schwester und ich haben immer zusammengehalten, egal was in unserer Familie passiert ist. Und sie hat einfach kein Recht, mir oder den Mädchen das anzutun.“
Sabrina streichelte sein Haar und versuchte, ihn zu verstehen. Seine Meinung war durchaus gerechtfertigt. Aber eben nicht der einzig mögliche Blickwinkel. „Manche Menschen haben eben eine Berufung“, sagte sie einfach. „Sie wäre doch nie weggegangen, wenn sie nicht glauben würde, dass du als Vater genauso gut bist wie sie als Mutter?“
Er stieß einen unverständlichen Fluch aus. „Ein Riesenirrtum.“
„Dickkopf.“ Sabrina gab ihm einen sanften Stoß. Dann stellte sie die Gläser weg, legte die E-Mail beiseite und setzte sich ihm gegenüber auf den Couchtisch. „Jetzt erzähl mir mal, was deine Eltern angestellt haben. Was haben sie getan, um dich dazu zu bringen, der Welt mit der Einstellung zu begegnen, dass das Leben nur ein Witz vor dem Tod ist?“
„Ich glaube, der Abend war doch eigentlich ganz lustig, ohne dass ich diese alten Kalauer raushole.“
„Ich habe es verdient, Bescheid zu wissen.“
„Wie denn das?“
„Dein Benehmen.“ Sie deutete mit dem Daumen auf sich selbst. „Du hast mir eine Rolle in diesem Drama gegeben. Du bringst mich dazu, dass ich mich wie bei einem Boxkampf fühle. Erst hänge ich in den Seilen, dann fällst du über mich her und schließlich hast du mich im Schwitzkasten … Was kommt als Nächstes? Dass ich flach auf dem Rücken liege und k.o. gehe?“
Sein Gesichtsausdruck verriet Ratlosigkeit. „Irgendwie passt der Name Sabrina nicht zum Boxen. Magst du Boxen?“
„Ich hasse es. Aber als ich ein Kind war, lief das bei uns ständig im Fernsehen.“
„Vielleicht sollten wir lieber über deine Kindheit sprechen.“
„Jetzt geht es um dich“, sagte sie zu ihrem Glas.
Genervt tat er ihren Einwand ab. „Also, was du behauptest, trifft jedenfalls nicht zu. Ich habe nur versucht, dich zu beschützen. Aber wie Cass bist du mutiger, als gut für dich ist.“
Sabrina lachte kehlig und hob ihren Wein hoch. Nach einem tiefen Schluck deutete sie mit dem Glas auf ihn. „Du bist schon so einer, weißt du das? Jetzt kapier ich das. Du bist eine wandelnde Vollkaskoversicherung.“
Er wirkte überrumpelt. „Überhaupt nicht. Leben und leben lassen ist mein Motto.“
„Wenn das wahr ist, dann hab keine Angst davor, Cassidy machen zu lassen. Sie ist gut in ihrem Job.“
Collin ließ sich in die Lederpolster zurücksinken und schaute weg. Nach ein paar Sekunden warf er ihr von der Seite her einen Blick zu. „Haben wir uns gerade gestritten?“
„Laut geworden sind wir nicht.“
Collin stellte seinen Wein ab und nahm ihr auch das Glas aus der Hand. „Gut. Denn ich will nicht, dass Thanksgiving so für uns endet.“ Er berührte ihre Handflächen mit den Lippen. Dann zog er sie an sich, bis sie auf seinem Schoß saß.
Obwohl sie sich nicht wehrte, schaute Sabrina besorgt in Richtung Flur. „Nicht einmal angezogen gehört sich das.“
Er führte ihre
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