Julia Saison Band 11
verarztet.“
„Ja, natürlich.“
„Und wo hat er geschlafen?“
Darum geht es ihr, dachte Merritt. „Auf dem Sofa“, antwortete sie ruhig.
Die Frau schnappte sich den Spatel und schlug klatschend auf den Edelstahltresen. „Wie kannst du es wagen, mein Entgegenkommen so auszunutzen! Das ist das Haus meiner Großmutter, und ich will nicht, dass es dort zugeht wie in einem … Schäm dich. In dieser Stadt gibt es Gentlemen, die dir anständig den Hof machen würden, wenn du ihnen eine Chance geben wolltest. Aber nein, ausgerechnet du, die sich so schüchtern gibt, als könnte sie keine zwei Sätze mit einem Gast wechseln, du lässt dich mit einem Sträfling ein, der sich noch nicht einmal den Knastgeruch abgewaschen hat!“
Unter diesen giftigen Schlussfolgerungen wich Merritt nach Luft schnappend zurück. Taumelte gegen eine Wand. Nein, nicht gegen eine Wand, berichtigte sie sich, als sie kräftige Hände an ihren Oberarmen spürte, die sie festhielten. Sie fuhr herum und sah Cain, seine Miene finsterer als je zuvor.
Als er zum Reden ansetzte, legte sie die Hand auf seine Brust, zum Zeichen, dass er bitte schweigen möge. Über die Schulter hinweg blickte sie sich nach Alvie um. „Ich habe nichts Böses getan. Ich habe getan, was jeder anständige Mensch mit einem Gewissen getan hätte, und wenn du das nicht begreifen kannst, ist zwischen uns wohl alles gesagt. Ich bin hier fertig.“
Sie riss sich die Schürze vom Leib, schleuderte sie auf den Tresen und suchte ihre Sachen zusammen. Sie wollte keine Sekunde länger als nötig bleiben, aus Angst, sonst die Beherrschung zu verlieren. „Gehen wir“, sagte sie zu Cain.
„Lass mich mit ihr reden.“
„Nein. Es ist schon genug geredet worden.“
Die Straße war noch immer gespenstisch leer, als Cain wieder aus der Stadt hinaus fuhr. Vom nach wie vor bedeckten Himmel fielen gelegentlich ein paar Flocken, und auch in der Fahrerkabine herrschte eine unterkühlte Atmosphäre. Cain wusste, dass Merritt mit den Tränen kämpfte, aber sie schien wild entschlossen, nicht zusammenzubrechen.
Doch jeder Mensch kommt irgendwann an die Grenze seiner Belastbarkeit, und Cain verstand ihre Beziehung zu Alvie gut genug, um zu wissen, dass die ältere Frau Merritt irgendwann die Mutter hätte ersetzen können. Diese Chance wollte er ihr erhalten.
Als sie beim Haus ankamen, hatte Merritt noch kein Wort gesprochen. Cain stellte den Pick-up so ab, dass sie leichten Zugang zur Veranda hatte.
„Danke“, sagte sie mit etwas heiserer Stimme. „Wenn du ins Haus kommen magst, mache ich dir Frühstück.“
Cain folgte ihr. Er wartete, bis sie im Haus waren und ihre Jacken auszogen, dann brachte er seinen Entschluss zur Sprache. „Was willst du jetzt tun?“, fragte er.
„Ich weiß es nicht.“
„Weil dein Verhalten unklug war. Edel in gewisser Weise, aber kein besonders kluger Schachzug.“ Auf ihren verständnislosen Blick hin überrollte er sie wie eine Dampfwalze. „Wovon willst du jetzt leben? Abgesehen von der Ein-Mann-Taco-Bude am anderen Ende der Stadt ist Alvies Restaurant hier das einzige. Wo willst du wohnen, nachdem du ihr jeden Grund geliefert hast, dir fristlos zu kündigen?“
Sichtlich bestürzt warf Merritt Schultertuch und Jacke auf den nächsten Stuhl, statt sie aufzuhängen. „Hör auf. Ich weiß das alles.“
„So hast du dich aber nicht verhalten.“ Er zwang sich, noch ein bisschen tiefer zu bohren. „Es ist nicht nötig, dass du meine Schlachten für mich schlägst. Das habe ich dir schon einmal gesagt.“
„Sollte ich mir ruhig anhören, wie sie uns beide beleidigte? Entschuldige, wenn ich mich nicht deinem Wunsch gemäß verhalten habe, aber ich habe es gründlich satt, wegen meiner Unzulänglichkeit kritisiert und als dumm bezeichnet zu werden. Und das von der Frau, von der ich dachte, dass sie meine Freundin und Vertraute wäre. Da wirst du wohl verstehen, wenn ich keine Lust habe, mich auch noch von dir bevormunden zu lassen.“
„Moment mal.“ Als sie herumwirbelte, packte Cain sie und drehte sie zu sich um. Doch sie wehrte sich, und er griff energischer zu, sodass er sie schließlich der Länge nach an seinen Körper presste. Was auch immer er hatte sagen wollen, ihr süßer, sauberer Duft und ihre weiblichen Formen machten seine guten Absichten und seine Zurückhaltung zunichte. „Nicht doch“, raunte er und hauchte einen Kuss auf ihre Stirn. „Du bist nichts dergleichen. Du bist mutig und begabt, und du verdrehst mir den
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