Julia Saison Band 17
Stimme löste ein Kribbeln in ihr aus, was sie jedoch entschlossen unterdrückte. Jared konnte ein Freund sein, mehr nicht. Denn sie hatte das Gefühl, dass er von hier verschwinden würde, sobald er seine Neugier in Bezug auf Tony Amati gestillt hatte. Das machte die Sache einfach.
Jared stand auf und streckte die Hand aus, um ihr aufzuhelfen. Als sie seine Hand nahm, fuhr ein elektrisierendes Prickeln durch ihre Finger, ihren Arm, ihren Oberkörper. Überallhin.
„Morgen habe ich frei, falls dir das passt“, meinte er. „Vielleicht könnte ich irgendwann am Vormittag kommen?“
Als Stammkunde im Diner wusste er sicher, dass morgen auch ihr freier Tag war. Aber um neun Uhr sollte einiges an Babysachen angeliefert werden, und sie wollte nicht, dass er es mitbekam.
„Wie wäre es um elf?“, schlug sie daher vor.
„Gut.“
Sie hielten sich noch immer bei der Hand. Annette ließ Jared los und trat einen Schritt zurück, um etwas Abstand zwischen sie zu bringen. Doch ihre Haut glühte vor Verlangen. Sie gab ihm das Tagebuch zurück, und als Jared davonging, empfand sie ein seltsames Gefühl im Magen.
„Warum ist es dir so wichtig, alles über Tony herauszufinden?“, fragte sie, um ihn aufzuhalten.
Seine Schultern versteiften sich, und er hielt inne. Achselzuckend erwiderte er über die Schulter: „Es ist mir nicht wichtig.“ Damit hob er die Hand zum Abschied, ehe er zu seinem Truck ging, der vor dem Kaufhaus parkte. Vermutlich hatte er dort Vorräte für die Harrison-Ranch besorgt.
Es war die erste offensichtliche Lüge, die Annette von ihm gehört hatte. Aber vermutlich war es besser so. Eigentlich sollte sie ihm dankbar sein, dass er die Distanz zwischen ihnen wahrte. Dennoch sah sie ihm wehmütig nach.
Nach der Arbeit auf der Harrison-Ranch, wo Jared Reparaturen an den Ställen durchführte, fuhr er zum Essen zu seiner Großmutter. Mit den braunen Holzwänden und den weiß abgesetzten Fenstern und Türen wirkte ihr Haus wie ein Lebkuchenhäuschen aus dem Märchen. Die handbemalten Blumenkästen stammten noch von seinem Großvater, der vor zehn Jahren verstorben war.
Als Jared läutete, dauerte es ein paar Minuten, bis seine Großmutter öffnete. Lächelnd umarmte sie ihn. „Es ist zwar erst wenige Tage her, aber ich habe dich schon schrecklich vermisst.“ Liebevoll tätschelte sie ihm die Wange.
Noch nie hatte ihn jemand so getätschelt, und unwillkürlich wurde er rot, was seine Großmutter zum Lachen brachte. Ihr gegenüber verhielt er sich noch immer vorsichtig. Er hatte nie Großeltern gehabt. Seine Adoptiveltern waren beide Waisen gewesen, deshalb hatte Onkel Stuart ihn ja bei sich aufgenommen. Doch sein Onkel hatte ihn spüren lassen, dass er nicht sonderlich willkommen gewesen war.
Seine Gran winkte ihn ins Haus, wo es tatsächlich nach Lebkuchen roch. Und nach Eintopf. Und Mottenkugeln. Aber für Jared war es eine tröstliche Kombination von Gerüchen, die ihm bereits ans Herz gewachsen war.
„Setz dich.“ Sie zeigte auf einen Lehnstuhl, der schon bessere Tage gesehen hatte.
Dann setzte sie sich auf das alte Sofa mit den Spitzendeckchen und schenkte Limonade in zwei bereitstehende Gläser ein.
Seine Großmutter trug ein geblümtes Hauskleid, das silbrige Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie wirkte viel zu zerbrechlich, um früher einmal ein Cowgirl gewesen sein. Doch sie hatte ihrem Mann geholfen, eine Ranch zu führen, die allerdings schon vor Jahren verkauft worden war.
Jared legte das in Öltuch gewickelte Tagebuch auf den Tisch.
„Ich dachte mir schon, dass du mir ein Geschenk mitgebracht hast, mein Junge. Aber ich bin eher für Blumen oder Pralinen.“ Sie tippte auf das Öltuch. „Was ist das?“
„Als ich es gestern von einer Freundin bekam, habe ich das auch gefragt.“ Er berichtete, wem das Tagebuch gehört hatte und wo die Freundin es gefunden hatte.
Seine Gran schlug das Buch auf, wobei sie jedoch beunruhigt wirkte.
„Keine Sorge“, meinte er. „Ich habe nicht viel über den Mann erfahren.“
„Ich mach mir keine Sorgen.“ Trotzdem überflog sie jede einzelne Seite.
Währenddessen trank Jared seine Limonade, schaltete den Fernseher an und zappte durch die Kanäle. Er wollte Gran bitten, noch einmal die alten Fotoalben hervorzuholen, die sie ihm in den vergangenen Monaten gezeigt hatte. Bilder von der Hochzeit mit seinem Großvater, Fotos von Grandpa als blondem Kind mit Grübchen. Und vor allem Fotos von der Mutter seines Großvaters, Tessa
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