Julia Sommerliebe 0020
wichtig, Gina. Sie sollten auch ein zufriedenes, glückliches, erfülltes Leben haben.“
Noch während er diese Worte aussprach, wurde ihm bewusst, dass für ihn dasselbe galt. Wann hatte er das letzte Mal darüber nachgedacht, was er brauchte? Im Grunde hatte er sich doch mit Leib und Seele in die Arbeit gestürzt, um sich darüber hinwegzutäuschen, dass es ihn nicht mehr so erfüllte wie früher einmal … seit er dazu überredet worden war, weniger wiederherstellende chirurgische Operationen vorzunehmen, mit denen er Unfallopfern und Menschen mit Geburtsfehlern geholfen hatte. Stattdessen hatte er mehr Schönheitsoperationen an Prominenten übernommen, die dem Krankenhaus und ihm wesentlich mehr Ruhm und Geld einbrachten.
Erst Gina öffnete ihm die Augen. Es gab einiges, worüber er nachdenken musste. Zum ersten Mal dachte er ernsthaft daran, von vorn anzufangen und beruflich einen anderen Weg einzuschlagen.
„Und gibt es einen Mann in Schottland, der ungeduldig auf Ihre Rückkehr wartet?“ Sebs Frage klang nicht so gelassen, wie er beabsichtigt hatte. Aber er musste es einfach wissen. Je mehr Zeit er mit Gina verbrachte und je besser er sie kennenlernte, desto stärker wurde seine Sehnsucht nach ihr. Er wusste nicht mehr, wann er das letzte Mal einen Abend so sehr genossen hatte. Wann hatte er zuletzt ein so anregendes, interessantes Gespräch geführt – mit einer Frau, die nicht auf ihr Äußeres, ihre Gier nach Ruhm oder darauf fixiert war, was sie mithilfe seines Geldes und seiner Kontakte alles erreichen könnte?
„Nein, es gibt keinen Mann“, erwiderte Gina zu seiner unendlichen Erleichterung. „Ich …“
Seb strich ihr über das Handgelenk und spürte, wie ihr Puls sich beschleunigte. „Erzählen Sie es mir.“
„Ich bin schon eine Weile mit keinem Mann mehr ausgegangen“, gestand sie errötend.
„Und warum nicht?“ Die schottischen Männer mussten blind sein! „Und was meinen Sie mit ‚einer Weile‘?“
Gina wich seinem Blick aus. „Seit etwa vier Jahren.“
„Vier Jahre?“, wiederholte er ungläubig.
„Ich war sehr beschäftigt, weil ich mich neben meiner Arbeit um meine Großeltern gekümmert habe. Es gab einmal jemanden, aber …“
Seb spürte, dass sie sich überwand, darüber zu sprechen. „Aber?“
„Meine letzte Beziehung ging auseinander, als meine Großeltern bei mir eingezogen sind. Ich hatte eine Entscheidung gefällt und meine Prioritäten gesetzt … Und seitdem gab es kaum noch Gelegenheiten, mich mit einem Mann zu treffen.“
Es fiel Seb nicht schwer, zwischen den Zeilen zu lesen. Der Mann, mit dem Gina zusammen gewesen war, hatte ihre Aufmerksamkeit nicht mit ihren Großeltern teilen wollen. Danach hatte Gina sich wahrscheinlich ausschließlich um die Bedürfnisse anderer gekümmert, sodass sie die eigenen darüber ganz vergessen hatte. Er fand ihre Loyalität bewundernswert. Dennoch sollte sie wissen, dass sie eine schöne Frau war.
Bevor er diesen Gedanken aussprechen konnte, trat eine Kellnerin an ihren Tisch und fragte, ob sie ein Dessert bestellen wollten. Seb entschied sich lediglich für einen Kaffee und lachte leise über Ginas Vorfreude auf das hausgemachte Eis. Widerstrebend ließ er ihre Hand los, als Kaffee und Nachtisch serviert wurden.
Nach einer Weile blickte sie auf und stellte fest, dass er sie lächelnd beobachtete. Verlegen sagte Gina: „Ich bin ganz schön gierig, stimmt’s?“
„Nein, überhaupt nicht. Ich finde es sehr angenehm, mit jemandem auszugehen, der sein Essen genießt und die Künste des Kochs zu schätzen weiß.“
Unwillkürlich erinnerte er sich an Lidia. Und an andere Frauen, die er in die teuersten Restaurants ausgeführt hatte. Bei jedem Gang hatten sie ein furchtbares Theater gemacht, dann nur in ihrem Essen herumgestochert oder lediglich einige Salatblätter gegessen. Über die Verschwendung oder über Menschen, die weit weniger besaßen als sie selbst, machten sie sich keinerlei Gedanken – auch nicht über diejenigen, die viel Arbeit und Mühe darin investiert hatten, das Essen für sie zuzubereiten.
Seb fand die Selbstbezogenheit dieser Frauen ebenso unattraktiv wie ihre unnatürliche Magerkeit. Gina war viel erotischer. Ihre sinnlichen Kurven fand er unglaublich anziehend. Andächtig beobachtete er sie, während sie das Dessert verspeiste. Ihr war anzusehen, wie sie den Geschmack und die Konsistenz des selbstgemachten Eises genoss. Der Anblick erregte Seb.
Gina war keine Schönheit im klassischen Sinn
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