Julia Sommerliebe 0023
fühlte, spürte sie deutlich. So deutlich, wie man die Atmosphäre vor einem Gewitter spürte, kurz bevor sich die Spannungen entluden. Auf einmal nahm Zoe alle Sinneseindrücke ganz besonders deutlich wahr: den würzigen Duft des Basilikums … das Rauschen des Windes in den Kastanienbäumen … und das leise Plätschern des nahen Sees.
Ob es Leandro ähnlich ging? Fragte er sich wohl auch gerade, ob sie nach dem Essen noch ein wenig zusammenbleiben würden? Und wenn ja, was sie tun würden?
Auf einmal erschien es ihr unvermeidlich. Die Anziehungskraft zwischen ihnen war einfach zu stark, er fühlte bestimmt genauso. Alle Vorsichtsmaßnahmen und Bedenken waren für den Moment vergessen, sie genoss einfach das Prickeln zwischen ihnen.
Während des ganzen Abendessens wechselten sie kaum ein Wort. Aber als Zoe schließlich aufstand, um den Tisch abzuräumen, rechnete sie fest damit, dass Leandro sich hinter sie stellen und ihr die Arme um die Taille schlingen würde. Sie sehnte sich danach, von ihm berührt zu werden, wollte sich ihm völlig hingeben, so als ob es kein Morgen gäbe.
Aber dazu kam es nicht. Stattdessen half er ihr dabei, die Teller und Schüsseln in die Küche zurückzubringen. Während sie abwusch, kochte er einen Kaffee. Es fühlte sich angenehm vertraut an, als wären sie ein Liebespaar …
Zoe erschauerte. Ihr wurde bewusst, dass sie schon die ganze Zeit darauf wartete, dass er irgendetwas unternahm. Warum küsste er sie nicht einfach?
Je länger sie darüber nachdachte, desto unschlüssiger war sie sich. Und eigentlich wollte sie doch nicht mehr nachdenken, viel lieber wollte sie sich ihren Gefühlen hingeben … sich ihm hingeben …
Aber sobald der Kaffee fertig war, zog sich Leandro gleich mit seiner Tasse in sein Arbeitszimmer zurück. Zoe war unendlich enttäuscht. Die elektrische Spannung zwischen ihnen war verschwunden – als hätte es sie nie gegeben.
Es ist besser so, sagte sie sich tapfer. Auf jeden Fall ist es sicherer.
Nachdem Zoe alles abgewaschen und weggeräumt hatte, war es schon ziemlich spät. Ruhelos wanderte sie durch das dunkle Erdgeschoss der Villa, betrachtete die mit Tüchern bedeckten Möbel und die ebenfalls verhüllten Bilder an den Wänden.
Das Gebäude war komplett möbliert, offenbar hatte es der letzte Besitzer urplötzlich verlassen, vermutlich aus tragischen Gründen. Oder ging da etwa gerade ihre Fantasie mit ihr durch?
Warum hatte man das Haus jahrelang, anscheinend sogar jahrzehntelang, dem Verfall überlassen? Und jetzt verlangte Leandro von ihr, dass sie das Gebäude wieder in die prunkvolle Villa zurückverwandelte, die es wohl einmal gewesen war. In ein richtiges Zuhause. Wie sollte sie das bewerkstelligen? Sie konnte doch wirklich nicht zaubern!
Ausgerechnet sie, die noch nie so etwas wie ein Zuhause gehabt hatte! Zoe betrachtete die zerfetzten Vorhänge am Fenster und musste unwillkürlich daran denken, wie sie als Kind einmal aus einem alten Kleid Vorhänge genäht hatte.
Weil sie nicht nähen konnte, hatte sie die Säume einfach mit dem Tacker zusammengeheftet. Besonders ordentlich hatte das nicht ausgesehen, trotzdem war Zoe auf ihr Werk stolz gewesen. Immerhin hatte das heruntergekommene Pensionszimmer mit seinen Plastikrollläden und der fleckigen Bettdecke dadurch eine persönliche Note erhalten. Aber ihre Mutter hatte die Veränderung nicht mal bemerkt.
Zoe seufzte. Wenn sie darüber nachdachte, wurde sie nur depressiv. Warum war ihr das überhaupt gerade eingefallen? Vielleicht deswegen, weil sie noch nie ein privates Wohnhaus geputzt hatte, sondern immer nur Hotels oder Restaurants. Bisher hatte sie nur Jobs ohne jeden persönlichen Bezug angenommen. Jobs, die sie einfach vergessen konnte, wenn sie vorbei waren.
Auch meine Anstellung als Haushälterin für Leandro Filametti ist irgendwann vorbei, sagte sie sich. In drei Monaten, genauer gesagt.
Wenn sie darüber nachdachte, wurde sie traurig.
Sie fuhr mit dem Finger durch die dicke Staubschicht auf dem Fensterbrett. Am liebsten würde sie aus dieser Villa ein richtiges Zuhause machen, in dem man gern wohnte. Was ziemlich überflüssig wäre, zumal Leandro das Haus sowieso verkaufen wollte. Und trotzdem – vielleicht lohnte es sich allein für diesen einen Sommer, den sie hier gemeinsam verbringen würden.
Vom Fenster aus betrachtete sie den See, auf dem das Mondlicht silbern schimmerte. Was hier wohl früher für Menschen gewohnt hatten? Hatten sie sich wohlgefühlt? Hatten
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