JULIA SOMMERLIEBE Band 21
sich nicht öffnen lassen.
In dieser Nacht war es die einzige Verbindung zu ihrer Mutter, von der sie nicht einmal wusste, wo sie lebte. Falls Miriam immer noch mit dem amerikanischen Musiker zusammen war, würde sie wohl irgendwo in den Staaten wohnen. Linda dachte an die Zeiten, als sie nach ihr hatte suchen wollen. Doch ihre Schüchternheit hielt sie davon ab. Genauso wie der Schmerz, den sie stets empfand, wenn sie daran dachte, dass sie verlassen worden war. Wie konnte eine Mutter ihr eigenes Kind im Stich lassen? Unwillkürlich schweiften ihre Gedanken zu Karim, der sie morgen in dem großen Raum mit dem Springbrunnen heiraten würde. Das kühle Plätschern des Wassers würde ihre Hochzeitsmusik sein. Um ruhiger zu werden, konzentrierte Linda sich auf ihr Hochzeitskleid und die Frage, welche Schuhe sie dazu anziehen würde.
In verführerisch goldenem Glanz tanzten sie vor ihren Augen und führten sie in das Reich des Schlafes. Sie merkte nicht, wie eine braune Hand das Netzgewebe um ihr Bett zur Seite schob. Dunkle Augen ruhten auf der schlafenden Gestalt, die nur von einem schwachen Lichtschimmer, der vom Säulengang draußen hereindrang, beleuchtet wurde.
Das Licht verfing sich in dem kleinen Herzen an ihrem Armband. Als sie sich im Schlaf unruhig auf die andere Seite drehte, war es schon wieder dunkel im Zimmer.
Als Linda erwachte, drangen helle Sonnenstrahlen durch das Gitter vor dem Fenster. Sie räkelte sich und sah sich um. Noch nie hatte sie in so einem Zimmer geschlafen … das mit den dicken orientalischen Teppichen, den elfenbeinweißen Wänden und den dunklen Möbeln mit der eingelegten Schnitzarbeit sehr exotisch wirkte.
Gerade als sie aus dem Badezimmer kam, betrat Perveneh das Schlafzimmer, in den Händen ein Tablett mit Frühstück. Sie machte einen Knicks. Linda lächelte zur Begrüßung und bedeutete Perveneh, das Tablett auf den Rosenholztisch zu stellen, der vor dem Diwan am Fenster stand. Dahinter erstreckte sich in strahlendem Sonnenschein die endlose Wüste. Linda vermutete Karim mit einem seiner Berberpferde dort draußen, ohne von der Angst und Unruhe geplagt zu sein, die seine zukünftige Braut verspürte.
Das Frühstück sah verlockend aus. Nachdem Linda den Orangensaft getrunken hatte, aß sie ein knuspriges Brötchen mit Honig und trank von dem köstlich duftenden Kaffee. Sie musste lächeln, als sie spürte, dass Sofie und Perveneh sie verstohlen beobachteten, während sie ihren Aufgaben nachgingen. Vermutlich fragten sie sich, warum Linda an ihrem Hochzeitstag so gelassen wirkte.
Sie vertrödelte einige Zeit am Frühstückstisch, weil sie sich erst dann in die Hände der Mädchen begeben wollte, wenn es notwendig war. Ihre Zeit als alleinstehende Frau war bald abgelaufen, doch sie wollte noch eine Weile länger an sich als Linda Layne denken. Kurz überlegte sie, was Larry Nevins und die anderen wohl sagen wür den, wenn sie davon Wind bekamen, dass sie eine Sheika war. Als Karims Frau wäre das ihr offizieller Titel. Und es klang so unglaublich exotisch, dass sie unweigerlich von einem Schauer erfasst wurde.
„Ganz die Mutter“, würden die Freundinnen von Tante Doris sagen.
Ob sie damit recht hatten? Die Begeisterung für die Musik hatte sie von ihrer Mutter geerbt. Also wäre es kaum verwunderlich, wenn sie auch andere Wesenszüge von ihr geerbt hätte, die Miriam dazu veranlasst hatten, sich einem konventionellen Lebensstil zu verweigern.
„Die Zeit läuft uns davon, lellah .“ Sofies Stimme, die ein wenig besorgt klang, riss Linda aus ihren Gedanken. „Es ist noch viel zu tun, um Sie für die Hochzeit vorzubereiten.“
„Meine Hochzeit“, wiederholte Linda. „Findet sie wirklich statt, oder träume ich all das nur?“
Sofie schüttelte den Kopf, ehe sie Linda forschend ansah. „Sind Sie glücklich, lellah ?“
„Natürlich“, erwiderte Linda, aber es war nur die halbe Wahrheit. Ein erwartungsvolles Prickeln hatte sie erfasst, als sei sie im Begriff, ins Theater zu gehen, in dem ein außergewöhnliches Stück gespielt werden sollte. Das Stück wäre sicher dramatisch und aufregend. Aber würde es auch ein glückliches Ende finden?
Verlockende Düfte drangen aus dem Badezimmer, und Linda gab sich den Aufmerksamkeiten ihrer Dienstmädchen hin. Während sie im warmen Badewasser lag, manikürte Perveneh ihr die Fingernägel und lackierte sie dann in einem zarten Rosé. Nachdem sie aus der Wanne gestiegen war, wurde sie mit einer nach Rosen duftenden Lotion
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