JULIA SOMMERLIEBE Band 21
gerade von der Wüste, die er schon als Junge erkundet hatte, als plötzlich ein wildes, langgezogenes Knurren von den Mauern zu hören war, die Ras Blanca umgaben. Hilfesuchend klammerte Linda sich an Karims Arm.
„Nur eine Wüstenkatze“, meinte er und nahm ihre Hand in seine. „Sie wirken ziemlich bedrohlich und haben die Angewohnheit, sich nachts in die Hofgärten zu schleichen, auf der Suche nach Wasser. Auch das gehört zur Wüste.“
Als Linda ihn ansah, wirkte seine Miene im Mondlicht ein wenig schwermütig. Und geheimnisvoll wie die Wüste, mit all ihrem Reiz und der Gefahr, die darin lauerte. Morgen würde sie ihm gehören, ganz und gar.
Ihr Blick schweifte zu seiner breiten Brust. Ob darin statt eines Herzens ein harter Wüstenstein lag? Er hatte es ja oft genug angedeutet, dass Liebe ihm nichts bedeutete.
Liebe war ein zu zerbrechliches Gefühl für einen so starken Menschen. Stattdessen sah er sie als sein Eigentum an. Ein stolzer, leidenschaftlicher, schicksalsergebener Mann … der sein eigener Herr war, und ihrer.
Er suchte ihren Blick. „Ich frage mich, ob du eine Romantikerin bist, die von einer Liebe träumt, die selbst der Tod nicht zerstören kann.“
„Dann wäre ich sicher nicht hier bei dir, wenn es so wäre“, erwiderte sie.
„Das stimmt, mia lindo . Und jetzt lass ich dich zu Bett gehen. Morgen ist ein wichtiger Tag in unserem Leben. Du siehst so gefasst aus, aber ich frage mich …“ Seine Hand glitt unter ihren Umhang und legte sich auf ihre Brust, dort wo ihr Herz schlug. Wie immer, wenn er sie berührte, löste er einen Sturm der Gefühle in ihr aus. Sie hörte, wie er nach Luft schnappte, dann zog er sie eng an sich und küsste sie für einen langen Augenblick.
Schließlich gingen sie ins Haus und trennten sich. Sie würden sich erst wiedersehen, wenn sie vor dem Ma’zoun standen und ihr Eheversprechen gaben.
„Gute Nacht.“ Sanft zog er ihre Hand an seine Lippen. „Und träum schön.“
„Gute Nacht, Karim.“ Sie ging davon. Erst als sie das Ende des Säulenganges erreicht hatte, warf sie kurz einen Blick über die Schulter. Er stand immer noch da, hatte sich gegen eine der Säulen gelehnt und hielt eine Flamme an seine Zigarre. Morgen würden ihre Wege sich nicht trennen, wenn sie zu Bett gingen … Morgen würde Karim el Khalid ihr Ehemann sein. Als ob ihre Panik ihr Flügel verliehen hätte, floh Linda in ihr Schlafzimmer und war verwirrt, als sie sah, dass Perveneh auf dem Stuhl vor dem Bett halb eingenickt war.
Linda ging zu ihr, weckte sie und bedeutete ihr, dass sie in ihr Bett gehen solle und nicht für sie aufbleiben müsse. Das Mädchen schüttelte den Kopf. Ihm war wohl aufgetragen worden, Linda stets zur Verfügung zu stehen.
Morgen wollte Linda mit Sofie sprechen, die Perveneh dann sagen würde, dass sie nicht aufbleiben müsse.
„Geh zu Bett!“ Lächelnd zog Linda das Mädchen zur Tür und schob es in den Flur.
Endlich allein, schlüpfte Linda unter den durchsichtigen Baumwollbaldachin, der über ihrem Bett hing, und lehnte sich mit einem Seufzer der Erleichterung gegen die weichen Kissen. Auch wenn sie müde war, wusste sie, dass sie nicht einschlafen würde. Zu vieles ging ihr durch den Kopf. Zudem hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie heiraten würde, ohne dass ihre Tante und der Onkel dabei wären.
Wenn Lindas Brief bei ihnen ankommen würde, wäre sie schon Scheich Karim el Khalids Frau. Allein der Gedanke daran ließ ihren Puls schneller schlagen. Morgen Nacht würde sie nicht allein im Bett liegen … sondern in seinen starken Armen, während sie von ihm all die Geheimnisse lernen würde, die Männer und Frauen von jeher zueinander führten und miteinander teilten.
Jede Sekunde brachte sie näher zu dem Moment, in dem sie Karim ihr Versprechen geben würde. Verlangen sei die Triebfeder für ihre Hochzeit, hatte er gesagt. Instinktiv wusste sie, dass in seinen Augen nur noch Desinteresse liegen würde, wenn die Lust einmal verflogen war. Vielleicht würde die Flamme verlöschen, die so hell gebrannt hatte, als sie zusammen im Hofgarten standen. Jetzt sehnte Linda sich nach der Weisheit einer Mutter, die all ihre Ängste besänftigen könnte.
Ihre Finger tasteten nach dem kleinen Herzen, das an dem Armreif hing, den sie schon als Schulmädchen getragen hatte. Die einzige Erinnerung an ihre Mutter, die Tante Doris ihr nicht hatte nehmen können. Natürlich hatte sie es versucht, aber der winzige Verschluss an dem Armband hatte
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