JULIA SOMMERLIEBE Band 21
„Wie reizend!“, rief sie entzückt. „Die muss ich unbedingt kaufen.“
Nachdem sie bezahlt hatte, bemerkte sie amüsiert, dass Sofie und Perveneh sich Blicke zuwarfen, als vermuteten sie, ihre Herrin sei schwanger. „Man weiß ja nie.“ Sie steckte die Schühchen in ihren gewebten Beutel. „Vielleicht sagt der Wahrsager mir ja gleich, dass ich ein halbes Dutzend gesunder Kinder bekomme.“ Sie warf ein paar Münzen auf den Teller eines alten Mannes, der neben dem Eingang einer wunderschönen Moschee aus Mosaiksteinen saß, während aus dem Inneren das Gemurmel von Kindern drang, die ihre Gebete aufsagten. Fasziniert beobachtete sie, wie ein Schlangenbeschwörer sich geschmeidig zur Musik einer Flöte bewegte, während die bunt gesprenkelten Schlangen zischten und ihre Fänge zeigten. Überall auf seiner blauschwarzen Haut trug der Mann Bissspuren. Und auch wenn Linda annahm, dass den Schlangen das Gift entzogen worden war, war es dennoch ein aufregendes Spektakel.
Neugierig schlenderte sie an all den Ständen vorbei, wo Amulette, Fußkettchen und Messer mit kunstvoll eingearbeiteten Juwelen verkauft wurden. Von einem anderen Stand wehte ihr der Duft nach Gewürzen und Kräutern in die Nase. Daneben standen Körbe mit verschiedenem Obst. Die Feigen sahen besonders köstlich aus, und Linda kaufte ein paar für die beiden Mädchen und sich selbst. Sofie und Perveneh schüttelten lachend den Kopf. Vermutlich dachten sie daran, dass es zu Hause im Überfluss zu essen gab, dass ihre Herrin jedoch wie ein übermütiges Kind in diesem Moment nichts interessanter fand, als Feigen auf dem Markt zu kaufen.
Linda gefiel das geschäftige Treiben auf dem Basar sehr. Jetzt, da sie ein Teil von Karim war, fand sie Gefallen an dem rauen Klang der Stimmen, den lebhaften Gesten, mit denen die Händler ihre Worte unterstrichen. Und an den dunklen, gefährlich blitzenden Augen, die durch den schwarzen Schleier die Gestalt einer Frau erahnen ließen.
Wie weit sie sich doch schon von dem sicheren Leben bei ihrer Tante und dem Onkel entfernt hatte, obwohl es auch in London Märkte gab, die dem Bazar in Fes nicht unähnlich waren. Doch bevor sie Karim kennenlernte, war ihr Leben immer dem gleichen Schema gefolgt. Zuerst der Musikunterricht, dann die Zugfahrt abends zurück in ein Haus, in dem sie sich nach Leben und Wärme gesehnt hatte.
Auf dem Seidenmarkt war sie überwältigt von den wunderschönen handgearbeiteten Stoffen in allen Farben und Schattierungen des Regenbogens. Sie bestand darauf, dass Sofie und Perveneh Stoffe für sich selbst aussuchten, aus denen Sofie dann Kleider nähen würde. Sie freuten sich sehr. Und während sie die Ballen durchgingen, schlenderte Linda allein herum und bewunderte die Seide, den Damast, den Samt und die Spitze. Schließlich kaufte sie für sich selbst eine Spitzenstola in einem tiefen Violett, das sie an die Wüste bei Nacht erinnerte. Den Garten Allah, wo sie in Karims Armen gelegen und sein Gesicht im Mondlicht bewundert hatte.
Als sie nun die Spitze berührte, wusste sie, dass sie diesen Mann liebte, sein Land und seine Leute. Ihr Stolz und ihr Mysterium berührten sie im Innersten, in dem das wahre Erbe ihrer Mutter verborgen lag. In ihren Adern pulsierte das Blut des Orients ihrer Vorfahren aus längst vergangenen Zeiten. Deshalb waren Karim und sie nie Fremde, wenn sie sich berührten, weil sie eine Gemeinsamkeit teilten, die zeitlos war wie die Wüste. Vom ersten Augenblick an hatte diese Gemeinsamkeit sie beide beherrscht. Als sie nun das Aroma der Farbe aus den Färbebottichen einatmete, jubelte ihr Herz.
Sie liebte Karim … den Herrn der Wüste.
Lächelnd teilte sie Sofie, die inzwischen Seide gekauft hatte, mit, dass sie nun ein Geschenk für den Scheich kaufen wolle. Sie hatte sich entschieden, einen Ledergürtel für Karim zu erstehen, in den ein Gebet aus dem Koran eingestanzt war. Den Gürtel könnte er um seine Tunika schlingen.
Also gingen sie zu dem Händler mit den Lederwaren, der ihnen Gürtel in allen Farben und Größen zeigte. Der Gürtel, für den sie sich schließlich entschied, war braun mit goldener Aufschrift, die schlicht besagte: Gesegnet sei der Mann, der Liebe im Herzen trägt. Der Gürtel war teuer, sodass Linda gerade noch genügend Geld blieb, um den Wahrsager zu bezahlen.
Sie fanden ihn in dem Viertel mit den Teppichen. Er saß am Boden neben einem Berg wunderschöner orientalischer Teppiche, und Sofie erklärte ihm, dass ihre Herrin aus
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