JULIA SOMMERLIEBE Band 21
denken, warum sie sich in ihrer Hochzeitsnacht gestritten hatten.
Sie legte den Zettel in die kleine goldene Schachtel, in der ihr Amulett gelegen hatte, das nun an der dünnen Goldkette um ihren Hals ging. Vielleicht würde ein Besuch auf dem Bazar mit Sofie und Perveneh sie aufheitern.
Als die beiden Mädchen eintraten – eine mit dem Frühstück, die andere mit einer frisch gewaschenen Reitbluse in der Hand – erklärte Linda ihnen fröhlich, dass sie alle zusammen in die Stadt gehen würden. Weil sie sich von einem Wahrsager die Zukunft deuten lassen wolle.
Sofie sah sie ein wenig besorgt an, widersprach aber nicht. Am späteren Vormittag verließen die drei Frauen dann das Haus, eingehüllt in ihre abayahs , die Straßenkleidung der Frauen, die sie völlig verhüllten und nur ihre Augen frei ließen. Sie stiegen in die Limousine mit den getönten Scheiben. In der Stadt gab Linda dem Fahrer Anweisung, zu warten, bis sie wieder da waren.
Hinter ihrem Schleier lächelte sie in sich hinein. Es war seltsam aufregend, die Frau eines Scheichs zu sein, und sie konnte nun verstehen, warum so viele muslimische Frauen an ihrem traditionellen Schleier festhielten. Er gab ihnen etwas Geheimnisvolles, Unerreichbares. Anders als die europäischen Frauen, die sich in ihren Bikinis manchmal wie ein Stück Fleisch zum Verkauf anboten.
Linda ging zwischen den beiden arabischen Mädchen, als sie die Stadt durch den großen Torbogen betraten, auf dem früher die Köpfe der Schuldigen aufgespießt wurden, als Mahnung für die anderen. Hinter den alten roten Mauern, die die Stadt umgaben, wimmelte es in den engen Straßen von Menschen, die an den überdachten Verkaufsständen vorbeischlenderten. Es war laut und stickig.
Die Straßen führten ins Herz des Basars. Da Linda verschleiert war, konnte sie nach Herzenslust all die Menschen beobachten, die die engen Straßen verstopften. Die einen waren wunderschön, die anderen wirkten fast grausam, als ob sie kriegslustige Berber aus den Bergen wären. Auch Karims Vater war Berber gewesen. Manchmal sah sie den gleichen stolzen Blick bei ihrem Mann, vermischt mit einer Aura von Gnadenlosigkeit, die alle um ihn herum mahnte, Abstand zu halten.
Die Verkäufer in ihren bunten Gewändern versuchten lauthals, das Interesse der drei Frauen an ihren Waren zu wecken. Manches sah verlockend aus, bis Sofie Linda zuflüsterte, dass es nichts als Plunder sei, der obendrein noch viel zu teuer war. Sie solle ihr Geld lieber für die Stände mit der Seide oder dem Parfüm aufheben.
„Ja, du hast recht“, räumte Linda ein. Die hektische Aufregung hatte ihre Niedergeschlagenheit vom Morgen vertrieben. „Und du bringst mich dann zu einem Wahrsager?“
„Wenn die lellah es wünscht.“
„Der Gedanke scheint dir nicht zu gefallen, Sofie.“
„Sie sind schlaue Männer und können Dinge sehen.“ Sofie sah Linda durch den Schleier aus Spitze an. „Die lellah muss ganz sicher sein, dass sie die Zukunft enthüllt haben will.“
„Ich … ich glaube, das will ich.“ Linda wusste ohnehin nicht, ob sie an das glauben sollte, was ein Wahrsager ihr mitteilte, aber es wäre sicher interessant. Vielleicht würde der Mann ihr sogar sagen, dass ihre Zukunft eine Oase des Glücks sein würde.
Doch zunächst verlor sie sich in den Auslagen mit den bunten Gewändern und Slippern. Begutachtete Lederhandtaschen, die weich wie Butter waren, und wunderschön gearbeitete Messinglampen. Die Verkäufer sahen sie mit gierigem Blick an, und nur Sofies oder Pervenehs fester Griff hielt Linda davon ab, etwas zu kaufen, das sie eigentlich nicht gebrauchen konnte.
Lachend ließ sie sich von den Mädchen weiterführen, die nicht verstanden, dass sie selbst in gewissem Sinne auch eine Touristin war, die von all den exotischen Dingen genauso angelockt wurde wie die anderen Besucher. Unter ihnen auch einige Europäer. Amüsiert bemerkte sie, dass die Männer die drei verschleierten Frauen neugierig ansahen und wohl überlegten, was sich hinter dem Schleier verbergen mochte. Wie sie wohl reagieren würden, wenn sie sich als hellhaarige Europäerin zu erkennen geben würde?
„Es macht mir Spaß, verschleiert zu sein“, gestand sie Sofie. „Ich fühle mich mit dem Schleier so geheimnisvoll.“
Sofie lächelte. Offenbar hatte sie verstanden, dass ein Paket aufregender war, wenn es noch nicht ausgepackt war. Plötzlich blieb Linda stehen und nahm ein Paar Babyschühchen aus seidenweichem, hellgelbem Leder zur Hand.
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