JULIA SOMMERLIEBE Band 21
gebrauchen.
Die Küche hatte sich während ihrer Abwesenheit verändert. Sie war nicht länger ein heller, praktischer Arbeitsplatz; sie war ein romantisches Eckchen in einem lauschigen Kosmos. In einem schweren Leuchter brannten fünf hohe Kerzen und tauchten den Raum in ein warmes Licht. Der kleine Holztisch war für zwei Personen eingedeckt. Eine Auflaufform thronte in der Mitte, begleitet von einer Flasche Rotwein und zwei Gläsern. Als Nicholas in einem weißen Hemd zu seinen Jeans aus der Dunkelheit auf sie zukam, schlug ihr Herz schneller.
„Was ist mit dem Licht?“, fragte sie ihn scharf. „Wo ist Frank?“
Nicholas lächelte, sie erkannte es trotz des Dämmerscheins daran, dass seine weißen Zähne kurz aufleuchteten, und eine flüchtige Kopfbewegung zeigte ihr, dass die dunkle dreieckige Augenklappe wieder an Ort und Stelle saß und seine Verletzlichkeit gut verbarg.
„Ich gehe sparsam mit dem Generatorstrom um“, antwortete er mit sanfter Stimme, die ihr einen Schauer über den Rücken jagte.
Seine seidenweiche Ruhe erinnerte sie an das Auge eines Orkans: In der Mitte herrschte völlige Stille, aber außen wirbelte der Sturm mit heftiger, unbändiger Energie.
„Und Frank hat schon gegessen. Er ist in seinem Schlafzimmer. Weshalb? Wolltest du etwas von ihm?“
Seine in unschuldigem Tonfall gestellte Frage brachte sie innerlich zum Kochen. Er wusste verdammt gut, weshalb sie die Anwesenheit einer dritten Person wünschte. Frank war als Anstandsdame nutzlos, wenn er sich in seinem kleinen Betonbunker am Ende des Flurs versteckt hielt.
Ihre Nerven zum Zerreißen gespannt, platzte sie, während sie sich setzte, laut heraus: „Heute Nacht schlafe ich nicht bei dir!“
Nicholas ließ sich ihr gegenüber nieder und stützte den Ellenbogen auf den Tisch. Neugierig lehnte er das Kinn auf seinen Handballen, sodass sein Gesicht näher an die flackernde Lichtquelle herankam. Sein Auge glänzte schalkhaft, die winzige Flamme der Kerze tanzte teuflisch in der schwarzen Pupille. „Was ist anders heute Nacht?“
Sein Blick hypnotisierte sie. Blinzelnd versuchte sie, seinem Bann zu entkommen. „Es ist einfach anders.“
„Heißt das, du nimmst mich heute mehr als Mann wahr als gestern Nacht?“, ließ er nicht locker.
Das war doch der Gipfel der Unverfrorenheit! „Als wü tenden Mann“, korrigierte sie ihn steif.
„Ich war schon öfter wütend auf dich. Für gewöhnlich prallt mein Zorn an dir ab und du greifst mich ebenso zornig an.“
„Für gewöhnlich legst du mehr Selbstbeherrschung an den Tag.“
Dunkel und verständnisvoll lächelte er sie an. „Vielleicht ist es nicht meine Selbstbeherrschung, die dir Sorgen macht. Vertraust du dir nicht mehr, wenn du in einem Bett mit mir liegst, mein kleiner Feuerwerkskörper? Angst, dass ich deine Lunte angezündet haben könnte?“
Sie presste die Lippen zu einem dünnen Strich.
Leise lachend griff er über den Tisch.
Vivian erstarrte, doch er hob lediglich den Deckel von der Auflaufform.
„Du servierst. Ich gieße uns einen Wein ein.“
„Oh, ich weiß nicht, ob ich Rotwein mag.“
„Diesen wirst du mögen. Es ist ein ausgezeichneter Tropfen eines Weingutes, das mir zum Teil gehört“, wischte er Zurückhaltung beiseite und füllte ihr Glas.
Während sie zwei Portionen aus der dampfenden Kasserolle auf ihre Teller gab, schenkte er auch für sich etwas ein, trank die Hälfte und füllte das Glas erneut.
Sie hingegen wartete, bis sie einige Bissen gegessen hatte, ehe sie den ersten Schluck nahm. Trotz ihrer Entschlossenheit, keine Reaktion zu zeigen, konnte sie sich nicht zurückhalten. Ein angenehm überraschtes Raunen entwich ihrem Mund, als das vollmundige Aroma an ihrem Gaumen explodierte und ihre Sinne mit dem feurigen Bouquet umgab.
„Siehst du? Du kannst nicht wissen, ob dir etwas gefällt, solange du es nicht versucht hast. Du musst etwas abenteuerlustiger sein, Vivian, mehr experimentieren …“
Ihr gefiel die seltsame Anspannung nicht, die sie an ihm spürte. Ebenso wenig gefiel ihr die gefährliche Leichtigkeit, mit der er die Flasche leerte, während sie beide vorgaben zu essen. Vivians Gedanken wirbelten durcheinander. Seit ihrer Konfrontation in seinem Büro hatte er sich rasiert, und zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, trug er ein gepflegtes Hemd. Was hatte er vor?
„Hattest du keine Angst?“, erkundigte er sich in diesem Moment und riss sie aus ihren Gedanken. Der Klang seiner tiefen, gedämpften Stimme verlor sich
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