JULIA SOMMERLIEBE Band 21
konnte.“
„Das hat er Ihnen erzählt?“ Sein Lächeln wurde breiter.
Misstrauisch blickte sie ihn aus ihren tiefgrünen Augen an. „Was soll das heißen?“
Er hob die Schultern. „Es ist Ihr Leben, finden Sie es heraus.“
Mit dieser lässigen Feststellung wandte er sich von ihr ab, kniete sich vor den Ofen, öffnete die Klappe und legte Holz nach.
Vivian war drauf und dran, auf einer ordentlichen Antwort zu bestehen. Doch da fiel ihr die Öljacke ins Auge, die an der Tür hing. Eine der Taschen hatte eine unübersehbare Ausbuchtung. Sie erinnerte sich, dass das Gewicht eines Gegenstandes gegen ihr Knie geschlagen war, als Nicholas sie vorhin festgehalten hatte. Und dieser Gegenstand hatte einen vage bekannten Klang dabei gemacht. Siedend heiß fiel ihr ein, was das war: seine Schlüssel! Sie hatte schon den ganzen Leuchtturm durchsucht, aber es gab einen Ort, an dem sie nicht hatte nachsehen können, da er abgeschlossen war.
Leise eilte sie hinüber und versenkte mutig ihre Hand in der Tasche. Den Schlüsselring fest in ihrer Faust verborgen, hatte sie nur noch Zeit, einen Schritt auf die andere Seite des Zimmers zu machen, bevor Frank die Ofentür schloss und sich zu ihr umdrehte.
„Äh, ich sollte mich wohl besser mal zum Essen umziehen“, bemerkte sie unbehaglich und verzog sich hastig durch die Tür.
Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, während sie den Flur entlangschlich. Da im Leuchtturm die Bäder noch nicht vollständig renoviert waren, duschte Nicholas im Badezimmer des Cottages. Höchstwahrscheinlich hatte er sich frische Kleidung mitgenommen, weshalb er aller Voraussicht nach vor dem Essen nicht mehr auf sein Zimmer gehen würde. Falls er es doch tat, war das nicht so schlimm. Der verriegelte Raum lag auf dem vierten Treppenabsatz. Wenn sie ihn also die Treppe hinaufkommen hörte, blieb ihr genügend Zeit, schnell eine Ebene höher zu laufen und unschuldig in ihrem Koffer zu stöbern.
Aufgeregt blieb sie vor der verschlossenen Tür stehen. Mit zitternden Fingern steckte sie einen Schlüssel nach dem anderen in das Schloss. Ihr kam es wie eine Ewigkeit vor, bis sie den richtigen Schlüssel erwischte. Leise öffnete sie die Tür und huschte hinein.
Wie sie vermutet hatte, beherbergte dieser Raum ein Büro. Ein Geschäftsmann wie Nicholas Thorne, der auch als Chef ein Einzelgänger war, würde nie jemandem genug trauen, um die Kontrolle über seine Geschäfte abzugeben. Noch nicht einmal vorübergehend. Leise zog Vivian die Tür zu und knipste das Licht an.
Das Zimmer war mit einem Computer-Arbeitsplatz, Telefon, Fax und Kopierer ausgestattet und mit einem großen Schreibtisch, der über und über mit Papieren bedeckt war.
Als Vivian die Regalwand voller Gläser und Röhrchen mit seltsamen Proben entdeckte, wollte sie lieber nicht so genau hinsehen. Dann fand sie den schweren Safe aus Stahl auf dem Boden und hielt verunsichert inne. Was tat sie hier eigentlich? Du weißt genau, dass das sein muss, ermutigte sie sich.
Schnell ging sie zum Schreibtisch. Nur die oberste Schublade war verschlossen. Hastig durchstöberte sie die anderen, in denen hauptsächlich Büromaterial und Akten wissenschaftlicher Papiere und Zeitschriften lagen. Nichts, was ihr mehr über Nicholas mitgeteilt hätte. Keine herumliegenden Fotos von seiner Frau oder seinem Sohn. Überhaupt gar keine Fotos.
Adrenalin schoss durch ihre Adern und ihre schweißnasse Hand zitterte, als sie das oberste Schubfach aufschloss und sich auf den großen Drehstuhl hinter den Schreibtisch setzte, um besser hineingreifen zu können.
Zuerst berührte sie ein kleines bernsteinfarbenes Arzneifläschchen, das sie mit ihren Fingern umschloss. Sie holte es heraus und las den Namen auf dem Etikett: Chloralhydrat. Das Betäubungsmittel, das er ihr am ersten Abend verabreicht hatte. Sie kniff ihren Mund zusammen und steckte das noch halb gefüllte Fläschchen entschlossen in ihre Hosentasche. Gleich bei der ersten Gelegenheit würde sie den Inhalt auskippen.
Als sie entdeckte, worauf die Arznei gestanden hatte, fing ihr Herz an unruhig zu pochen. Der Einigungsvertrag! Unterzeichnet, bezeugt und datiert. Intakt und noch immer gültig …
Sie hob ihn heraus und wog ihn abschätzend in ihren Händen. Aber nein … Selbst wenn sie ihn an sich nahm, wo sollte sie ihn verstecken? Dass Nicholas den Vertrag noch nicht vernichtet hatte, war sicherlich ein vielversprechendes Zeichen. Solange er unangetastet in der Schublade verstaut war, hatte
Weitere Kostenlose Bücher