JULIA SOMMERLIEBE Band 21
Ausgenommen mein persönliches Lieblingsbild natürlich.“ Er trug seine Augenklappe nicht, und selbst sein blindes Auge schien wütende Funken zu sprühen. Als er sah, welchen Unmut diese Bemerkung in ihr hervorrief, lächelte er wild.
„Ich überlege, ob ich es vergrößern und einrahmen lassen soll, bevor ich es Marvel schicke“, stichelte er. „So würde es eine viel größere Wirkung erzielen. Vielleicht sollte ich ihn aber auch selbst anrufen und ihm eine detaillierte Beschreibung geben, welch ein Genuss es gewesen ist, seine züchtige Braut zu besteigen.“
Sie zuckte bei dieser rohen Beleidigung zusammen. Seine überschäumende Wut stand in keinem Verhältnis zu seinem bisherigen Verhalten. Meist hatte er ihre vorherigen Versuche, seine Pläne zu durchkreuzen, mit einer herablassenden Erheiterung, ja, fast schon einer ironischen Bewunderung bedacht. Wieso war es dieses Mal anders? Vielleicht, weil sie bisher immer gescheitert war? Oder weil sie ihm jetzt einen Schritt voraus war?
„Schon gut, schon gut. Dann habe ich eben den Schlüssel genommen, weil ich dich bestehlen und in deinen Geheimnissen wühlen wollte“, warf sie ihm aufbrausend entgegen und bekämpfte ihn mit ihrem eigenen kochenden Zorn. Schließlich hatte sie mehr als genug Gründe, auf ihn wütend zu sein. „Ich dachte, ich würde etwas finden, womit ich dich überzeugen könnte, mich gehen zu lassen. Was ist denn so furchtbar daran? Du hast schließlich in meinem Leben herumgeschnüffelt …“
Er erstarrte. Sein Gesichtsausdruck wurde so undurchdringlich wie Granit.
„Sag mir nur eines: Was, wenn ich plötzlich allem, was du forderst, zustimme? Was, wenn ich dir deinen kostbaren Einigungsvertrag überreichen und sagen würde, dass alle Schulden getilgt seien? Was dann? Würdest du einfach davonlaufen und vergessen können, dass das alles hier geschehen ist? Würdest du Marvel immer noch am Samstag heiraten? Würdest du ihn heiraten können?“ Seine Stimme war plötzlich ruhig, fast zärtlich geworden.
Einen Herzschlag lang sehnte sich Vivian danach, ehrlich zu sein und darauf zu vertrauen, dass auch er aufrichtig war. Aber was, wenn er nur wieder ein Spiel mit ihr trieb? Deshalb antwortete sie vorsichtig: „Wieso lässt du mich nicht gehen und findest es heraus?“
Im selben Moment wusste sie, dass sie einen schweren Fehler begangen hatte. Sein Kiefer spannte sich an und seine Wangen wurden dunkelrot, so, als hätte sie ihm eine schallende Ohrfeige versetzt. Oh, Gott, war das Angebot etwa ernst gemeint gewesen?
„Ich würde niemandem etwas sagen, falls du das meinst“, beeilte sie sich zu sagen. Hoffentlich konnte sie den Schaden begrenzen, den sie angerichtet hatte. „Zuhause muss niemand erfahren, was hier passiert ist. Es ist noch nicht zu spät …“
„Und wie es das ist, zum Teufel!“ Abrupt wandte er sich von ihr ab, deutete ruckartig mit dem Kopf zur Tür und polterte: „Raus mit dir!“
Warf er sie nun aus dem Zimmer oder aus seinem Leben? Sie wusste es nicht und dennoch setzte sie sich augenblicklich in Bewegung. Als sie an ihm vorbeilief, wollte sie noch einen Versuch starten, zu ihm durchzudringen. „Nicholas, ich …“
Der vernichtende, wutentbrannte Blick, den er ihr seitlich zuwarf, ließ sie verstummen. „Frank sagte, du wolltest dich zum Essen umziehen. Mach ihn nicht zum Lügner.“
Gefasst ging sie weiter.
Mit einem Mal wurde seine Stimme weich und hinterlistig. „Und Vivian …?“
Ihre Fingernägel gruben sich schmerzhaft in ihre Handflächen.
Gefährlich leise und sanft formulierte er seine Drohung: „Wenn ich dich je wieder hier erwische, werde ich nicht mehr so nachsichtig sein. Pass also auf, wie sehr du mich heute Nacht noch provozierst. Ich bin in der Stimmung, jemandem Gewalt anzutun …“
Wenn ich dich je wieder hier erwische … Er schickte sie nicht weg! Verwirrt stellte sie fest, wie ihr die Erleichterung durch und durch ging. Zitternd begab sie sich hinauf in das Zimmer, in dem ihre dürftige Garderobe untergebracht war.
Sie hatte Angst, ihn noch mehr zu reizen, wenn sie seinem unverhohlenen Befehl nicht gehorchte, also streifte sie rasch eine frische Bluse über. Es war die cremefarbene, die sie am Tag ihrer Ankunft getragen hatte. Außerdem tauschte sie die Turnschuhe gegen ihre Pumps mit dem niedrigen Absatz. Die Hose, so entschied sie in einem letzten Anflug von Trotz, würde bleiben, denn sie konnte die Wärme um ihre vor Schreck schlotternden Knie gut
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