Julia Sommerliebe Band 22
irgendjemandem ein Sterbenswörtchen davon sagen …“
„Ich werde nichts sagen.“
„Gut“, antwortete er und lehnte sich im Sitz zurück, wahrend der Wagen durch die Pforten des Palastgeländes glitt.
8. KAPITEL
„Wir essen in dem kleinen Familienesszimmer.“
„Wie gemütlich! Sehr gemütlich!“, sagte Gabby ironisch, als Rafik sie an sich vorbei in den Raum treten ließ. Das „kleine Familienesszimmer“ hatte etwa die Größe eines Fußballfeldes. Der an einem Ende mit goldenen Kerzenhaltern, antikem Silberbesteck und schwerem Kristallglas gedeckte Tisch war etwa zehn Meter lang. Der Mosaikfußboden, auf dem sie gingen, musste jahrhundertealt sein.
Rafik, dem die Ironie ihrer Worte entgangen zu sein schien, sah, wie sie das leuchtend bunte Mosaik betrachtete, und sagte „byzantinisch!“. Dann ging er auf den Mann zu, der hinter einer Zeitung verborgen am Tisch saß.
Neugierig sah Gabby den Mann an, den sie heiraten sollte. Er war schlank, etwa eins achtzig groß, und sein kurzes Haar war vorne strubbelig hochfrisiert. Er trug ein schwarzes T-Shirt unter einem silbergrauen Anzug. Abgetragene Turnschuhe ergänzten sein Outfit.
Genau wie seine Kleidung ließ auch seine Begrüßung einen Mangel an Förmlichkeit erkennen. Kumpelhaft schlug er seinem Bruder auf den Rücken und betrachtete Gabby mit unverhohlener Neugierde. „Hallo, ich bin Hakim. Sie müssen Gabriella sein. Ich habe schon viel von Ihnen gehört.“
„Ach, wirklich?“ Sie warf Rafik einen fragenden Blick zu, bevor sie die Hand ergriff, die Hakim ihr entgegenstreckte. Ihr starres Lächeln wurde breiter, als der junge Prinz ihr in die Augen sah und ihre Hand seinen Lippen näherte.
Gabby ahnte, dass es schwer sein würde, kühl und distanziert zu bleiben. Sie lachte. „Entschuldigung! Aber Sie erinnern mich an jemanden, den ich sehr gut kenne.“
Ein Lächeln erhellte sein hübsches Gesicht. „Sicherlich an einen ganz wunderbaren Menschen. Stimmt’s?“
Wieder musste Gabby lachen. „Mein Bruder, an den Sie mich erinnern, würde Ihnen sicher sofort zustimmen.“ Ihr Blick wanderte zwischen den beiden Prinzen hin und her. Rafik schaute finster drein, und Hakim blinzelte. „Erstaunlich, dass Sie beide sich äußerlich so gar nicht ähnlich sind!“, sagte sie.
Hakim mochte vielleicht etwas oberflächlich sein, aber er war charmant und unkompliziert und wirkte sehr erfrischend auf jemanden, der sich zwei Tage lang mit den Widersprüchen des viel komplizierteren Rafik hatte herumschlagen müssen.
„Siehst du, Rafik, es gibt auch Menschen, die mich mögen.“
Während des Abendessens plauderten sie unbeschwert. Nur einmal gab es ein kleines Problem, als Hakim während des Desserts fragte, wie sie mit den Recherchen für ihre Doktorarbeit vorankäme.
„Doktorarbeit?“, fragte sie zögernd.
„Bislang hat sich noch keine Gelegenheit für Gabriella ergeben, mit der neu ins Leben gerufenen Initiative für Beduinenkinder Kontakt aufzunehmen“, warf Rafik ein.
„Bei Rafik sind Sie in guten Händen, Gabriella.“
„Gut“ war nicht gerade der erste Gedanke, der Gabby in den Sinn kam, wenn sie an seine Hände dachte. Sie erinnerte sich, wie er ihr Gesicht umfasst hatte, als er sie geküsst hatte, und schluckte. Ihr Blick wanderte wieder zu seinen sinnlichen Lippen.
Als Rafik ihren Blick bemerkte, flackerte Glut in seinen Augen auf.
Gabby wurde schwindlig.
„Gabby“, korrigierte sie schließlich mit einer etwas zu atemlosen Stimme und einem etwas zu strahlenden Lächeln. Doch zu ihrer Erleichterung schien Hakim die spannungsgeladene Atmosphäre nicht wahrzunehmen.
„Gabby – das gefällt mir. Also, Gabby, die Idee zu der Initiative kam von Rafik. Wie du dir sicher vorstellen kannst, gab es vor Ort viel Widerstand dagegen – vor allem, weil Rafik darauf bestand, dass Frauen in die Planung einbezogen werden. Und du hast beruflich mit Erziehung zu tun, richtig?“
„Ich bin Vorschullehrerin.“
„Wirklich? Du siehst überhaupt nicht wie eine Lehrerin aus. Oder, Rafik?“
Sein Bruder starrte ihn mit leerem Blick an und sagte nichts. Kurz bevor die Stille unerträglich wurde, antwortete er: „Gabriella ist sehr kompetent.“
„Davon bin ich überzeugt. Ich frage mich gerade, wie ihr beiden euch kennengelernt habt.“
„Durch Zufall.“
„Über einen gemeinsamen Freund.“
Beide Versionen wurden im selben Moment ausgesprochen.
Gabby warf Rafik, der weiter aß – oder besser gesagt, der weiterhin nichts aß
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