Julia Sommerliebe Band 22
–, einen ärgerlichen Blick zu. Besorgt hatte sie beobachtet, wie er das Essen auf dem Teller hin und her schob, aber kaum etwas zu sich nahm, was seinem Bruder entgangen zu sein schien.
Amüsiert sah Hakim zwischen Rafik und Gabby hin und her. „Auf jeden Fall war es eine schicksalhafte Begegnung.“ Hakim machte während des Essens mehrere Kommentare, die darauf hindeuteten, dass er Gabby und Rafik für ein Paar hielt.
Rafik, dessen Beitrag zur Unterhaltung am Ende der Mahlzeit nur noch aus einsilbigem Brummen bestand, schien davon jedoch nichts mitzubekommen. Und wann immer die Unterhaltung zu stocken drohte, füllte Hakim die Gesprächspausen. Er redete sehr gern – besonders über sich selbst.
Nachdem sie lange mit dem Nachtisch herumgespielt hatte und immer ärgerlicher geworden war, weil sie sich Sorgen um Rafik machte, hatte sich Gabby schließlich entschuldigt und war auf ihr Zimmer gegangen.
Womöglich durchlitt Rafik die schrecklichsten Qualen, war aber unfähig oder zu eigensinnig, um etwas zu sagen. Er hatte einfach nur dagesessen und würdevoll und erhaben ausgesehen, weil er anscheinend nicht wusste, wie er sich sonst verhalten sollte.
Nachdem Gabby eine Weile im Zimmer auf und ab gegangen war und weniger schmeichelhafte Betrachtungen über den Prinzen von Zantara angestellt hatte, wurde es ihr plötzlich klar, und die Einsicht kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel: Sie, die Frau mit dem gepanzerten Herzen, hatte sich verliebt. Und zwar in den falschen Prinzen.
Die Hand auf die Stirn gepresst, ließ sie sich der Länge nach rückwärts auf das Bett fallen und starrte mit leerem Blick an die Decke.
Sie hatte sich in einen Mann verliebt, in dessen Leben – selbst wenn er überhaupt noch eine Zukunft vor sich hätte – es keinen Platz für sie gab. Welch bittere Ironie. Konnte das Schicksal einem noch übler mitspielen? Tränen quollen unter ihren Lidern hervor und liefen ihr ungehindert übers Gesicht.
Rafik nickte dem Dienstmädchen, das ihnen Kaffee gebracht hatte, zu und wandte sich wieder an seinen Bruder. „Du scheinst dich gut mit Miss Barton verstanden zu haben, Hakim. Was hältst du von ihr?“
Er musste sich anstrengen, um den vorwurfsvollen Tonfall zu unterdrücken, und er schaffte es nur teilweise. Dabei redete er sich ein, dass es doch schließlich das war, was er gewollt und selbst in die Wege geleitet hatte. Und es war ihm viel besser gelungen, als er erwartet hatte.
Er hatte gedacht, dass Gabriella sich so unausstehlich geben würde wie nur irgend möglich – und aus eigener Erfahrung wusste er, dass sie dann ausgesprochen unleidlich sein konnte. Doch stattdessen hatte sie über die Witze von Hakim gelacht, obwohl diese nicht einmal sonderlich lustig waren.
Sie hatten sich auf Anhieb gut verstanden. Rafik dachte an einen Moment während des Abendessens, als er ihre Köpfe dicht nebeneinander gesehen hatte, so dicht, dass sich sein dunkles und ihr blondes Haar fast berührt hätten. Als Hakim ihr eine Hand auf die Schulter gelegt hatte, wollte Rafik ihn am liebsten von seinem Platz zerren.
Er holte tief Luft und schloss die Augen. Seine angespannten Gesichtsmuskeln ließen die Sehnen an seinem Hals deutlich hervortreten.
Rafik wusste selbst, dass er sich wie ein alter Wolf benommen hatte. Wie ein Leitwolf, der kurz davor war, durch einen jüngeren ersetzt zu werden.
Es war so erbärmlich!
Warum sollte er eifersüchtig auf seinen Bruder sein?
Die Antwort war ebenso einfach wie erschreckend: weil Hakim Gabriella haben würde. Zwar entsprach sie überhaupt nicht dem Typ Frau, von dem Rafik sich angezogen fühlte, aber trotzdem begehrte er sie mehr, als er je eine Frau begehrt hatte. Er konnte sie nicht ansehen, ohne ihre Haut berühren und ihren Duft einatmen zu wollen.
„Was ich von ihr halte?“ Hakim sah ihn verwundert an. „Es ist normalerweise gar nicht deine Art, mich nach der Meinung zu fragen.“
„Nun, jetzt frage ich dich eben.“
„Ehrlich gesagt habe ich mir keine Gedanken gemacht …“ Als er Rafiks vorwurfsvollen Blick sah, ruderte er zurück. „Sie ist sympathisch, sehr hübsch und ein bisschen zu ernst …“
Rafik war verblüfft. Sprachen sie über dieselbe Frau? „Ernst? Du meinst, im Gegensatz zu oberflächlich? Stört dich das?“
„Nein, ich habe es eher im Sinne von gelehrtenhaft gemeint“, erklärte Hakim und dachte, dass sein Bruder die englische Lehrerin sehr gern haben musste.
Aber der Gedanke war ihm nicht erst jetzt gekommen.
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