Julia Sommerliebe Band 22
Man hätte blind und taub sein müssen, um nicht mitzukriegen, wie es zwischen den beiden knisterte. Und seiner Erfahrung nach ignorierten Menschen einander nur dann so nachdrücklich, wenn sie etwas voneinander wollten.
Hakim wunderte sich nicht, dass Rafik sich von Gabby angezogen fühlte – immerhin war sie extrem hübsch –, aber es war überaus erstaunlich, dass er mit seinem Bruder über sie sprechen wollte.
Rafik hatte immer darauf geachtet, sein Privatleben für sich zu behalten. Selbst als sie jünger gewesen waren, hatten sie keine Männergespräche über die Frauen, die ihnen die Herzen gebrochen hatten, geführt.
Hakim hatte oft Liebeskummer gehabt, aber falls Rafik auch nur eine einzige schlaflose Nacht wegen einer Frau verbracht hatte, so wäre ihm das neu.
„Gelehrtenhaft?“, wiederholte Rafik und stellte sich vor, Gabby läge in seinen Armen, weich, nackt und anschmiegsam … zumindest, solange sie schliefe. Im wachen Zustand verwandelte sie sich ja immer gleich in eine fauchende kleine Wildkatze.
„Na gut, dann eben klug und gewitzt. Mir macht das ein bisschen Angst.“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber im Gegensatz zu dir, lieber Bruder, bin ich nicht das, was du als Intellektuellen bezeichnen würdest, und ich bevorzuge eher Frauen, die …“
Rafik verzog schmerzhaft das Gesicht und unterbrach seinen Bruder. „Bitte keine Einzelheiten. Ich weiß, auf welche Sorte Frauen du stehst.“
Hakim grinste. „Ich bin eben immer noch auf der Suche nach der Richtigen. Aber irgendwann werde ich dich überraschen.“ Und das wird früher sein, als du denkst. „Ich mag Gabby. Was sollte sie denn für Fehler haben? Na ja, du wirst es mir sicher gleich sagen.“
Rafik hob die Brauen. „Das ist also deine Meinung?“
„Normalerweise warnst du mich vor Frauen, die nichts für mich sind. Aber jetzt frage ich mich doch, warum du sie mir auf eine Art und Weise vorstellst, als würde irgendetwas nicht mit ihr stimmen. Und seit wann interessierst du dich eigentlich für das, was ich denke?“
Ein Anflug von Bedauern zeigte sich in Rafiks Zügen. „Tut mir leid, wenn ich dich bisher aus meinem Leben ausgeschlossen habe, Hakim.“
Hakim sah ihn verblüfft an. „Keine Sorge. Ich denke, es hat mir nicht allzu sehr geschadet, dass ich nicht stundenlang in irgendwelchen Meetings zum Thema Agrarpolitik herumgesessen habe.“ Er kniff die Augen zusammen und fragte seinen Bruder leicht besorgt: „Woher kommen eigentlich diese plötzlichen Schuldgefühle?“
Auf einmal hatte Hakim eine mögliche Antwort gefunden. Konnte es sein, dass Rafik ihn um Rat fragen wollte? Oder hoffte er, dass er, Hakim, ihm grünes Licht für diese Gabby gab, obwohl sie nicht alle Kriterien als zukünftige Königin von Zantara erfüllte?
Dann musste Rafik diese Frau sehr gern haben!
„Warum brauchst du meine Meinung überhaupt? Ich bin sicher, dass du schon eine dicke Akte mit Informationen über sie hast.“ Hakim wusste, dass sein Bruder sich auf eine Beziehung genauso vorbereitete wie auf die Verhandlung des Staatshaushalts. Er holte Erkundigungen ein und machte keine Zugeständnisse.
Aber dieses Mal schien es so, als würde er dranbleiben, was auch immer mit dem Mädchen nicht stimmte. Oder hatte Rafik das Gefühl, er solle lieber die Finger von ihr lassen? Wer weiß, dachte Hakim. Auf alle Fälle schien es diesmal etwas anderes zu sein.
Die Akte, von der Hakim gesprochen hatte, hatte Rafik heute Morgen tatsächlich in ergänzter Form auf dem Schreibtisch vorgefunden. Er hatte sie jedoch sofort in eine verschließbare Schublade gelegt und sich gesagt, dass er sie später lesen würde.
Doch was auch immer in der Akte stand, ganz egal, was oder wen es in Gabriellas Vergangenheit gegeben hatte, es würde nichts an der Tatsache ändern, dass sie in Rafiks Augen eine bessere Ehefrau sein würde, als sein Bruder verdiente. Und dass sie das Zeug zu einer Königin hatte, auf die jedes Land stolz sein könnte.
„Was eine Frau getan hat, bevor sie dich kennengelernt hat, ist unwichtig.“
Hakim, der gerade dabei war, mehr Zucker in seinen Kaffee zu rühren, hielt inne und starrte seinen Bruder ungläubig an. Dieser schien es tatsächlich ernst zu meinen. Aber wie ernst? Wollte er etwa heiraten? „Und wenn du dich jetzt dazu entschließen würdest, morgen zu heiraten, würdest du dann nicht wissen wollen, ob deine Zukünftige in irgendwelche Skandale verwickelt war?“
„Nein. In diesem Fall gelten die gleichen
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