Julia Sommerliebe Band 22
kennengelernt hatte.
Ihr Mund verzog sich zu einem gequälten Lächeln. Genau genommen gab es wahrscheinlich gar keine anderen Männer wie ihn.
„Warum wollen Sie den König sprechen?“
Seine Frage machte ihr bewusst, dass sie gerade dabei war, das Wesentliche aus den Augen zu verlieren.
„Ich wüsste nicht, was Sie das anginge.“
Ein lautes Hämmern an der Tür ließ Gabby zusammenzucken.
Ohne sie aus den Augen zu lassen, wies er mit dem Kopf in Richtung der Tür. „Aber ihn geht es doch wahrscheinlich etwas an?“
„Wenn Sie es unbedingt wissen wollen: Es geht um meinen Bruder. Er ist verhaftet worden und wartet auf seinen Prozess.“
Gabby sah, wie er plötzlich zu verstehen schien und sich Abneigung auf seinem Gesicht ausbreitete. Diese Reaktion war ihr nicht unbekannt, aber die meisten Leute bemühten sich, sie zu verbergen. Er nicht.
„Ist der englische Drogenschmuggler Ihr Bruder?“
Entrüstet funkelte sie ihn an. „Mein Bruder ist kein Drogenschmuggler.“ Sie sah die Geringschätzung im Gesicht des hochgewachsenen Arabers und bemühte sich, den Blick nicht schuldbewusst von ihm abzuwenden. „Ach, was soll’s. Sie haben sich ohnehin schon Ihr Bild gemacht“, sagte sie verärgert. „So wie alle Leute in diesem blöden Land“, fügte sie mit bebender Stimme hinzu. Ihr war jetzt klar, dass Paul keine Chance hatte.
Der Mann in der Botschaft würde wohl recht behalten – das Schicksal ihres Bruders war bereits besiegelt.
Geistesblitzartig kam Rafik eine Idee. Die ganze Zeit hatte er nach einer Lösung für sein Problem gesucht. Nun stand ihm die Rettung direkt vor Augen.
War er verrückt geworden?
Rein oberflächlich betrachtet wirkte es tatsächlich wie eine verrückte Idee, wie der Einfall eines Verzweifelten. Aber manchmal musste man auf gedankliche Abwege gehen, um auf die Lösung eines Problems zu kommen. Rafik war berühmt dafür, aber so weit wie jetzt war er nie gegangen.
Es war allerdings auch nie nötig gewesen.
Tausend Gedanken rasten ihm durch den Kopf. Diese Frau besaß genau die Eigenschaften, die seinem Bruder fehlten: Sie war belastbar, einfallsreich und hatte keinen Respekt vor Autoritäten. Und sie war loyal – wie viele Menschen würden solche Strapazen auf sich nehmen und ihr Leben riskieren, wie sie es für ihren Bruder tat? Sogar jetzt, wo sie eigentlich schon wusste, dass es aussichtslos war, gab sie nicht auf.
Und er hatte etwas, was sie brauchte.
In Anbetracht ihrer niedergeschlagenen Haltung, der hängenden Schultern und der Tränen, die auf ihren Wangen glitzerten, zögerte Rafik einen Moment. Doch dann schob er seine Bedenken beiseite und ging auf die Tür zu. Es konnte sich jetzt keine Sentimentalität erlauben. Immerhin ging es um die Zukunft seines Landes.
Als sie das Geräusch des Türriegels vernahm, sah Gabby auf.
Bei halb geöffneter Tür drehte er sich nach ihr um.
Gabby hob den Kopf. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie die ganze Zeit über gehofft hatte, der Fremde sei auf ihrer Seite. Das war natürlich naiv gewesen.
Sie wartete und stellte sich vor, wie bewaffnete Männer auf sie zukamen. Als dies nicht passierte, ging sie ein Stück in Richtung Tür.
Doch ihre Hoffnung, dass sich dort niemand mehr befand, der sie an der Flucht hindern würde, schwand, als sie den Klang tiefer Männerstimmen von draußen vernahm. Eine davon gehörte dem Mann, der das Zimmer gerade verlassen hatte, die andere wahrscheinlich demjenigen, der sie hinausbegleitet hatte. Allerdings war sie sich nicht sicher, da er weder kalt noch herablassend klang, sondern vielmehr ehrerbietig.
Gabby überlegte noch, was all das bedeuten sollte, da kann der große Araber wieder herein und schloss die Tür hinter sich.
Sofort fiel Gabby auf, dass der Hochmut, den sie an ihm bemerkt hatte, jetzt noch deutlicher hervortrat. Sie verschränkte die Arme schützend vor der Brust und sah ihn misstrauisch an.
Er machte eine Handbewegung in Richtung eines kleinen, mit Seidenkissen bedeckten Diwans. „Setzen Sie sich, Miss Barton.“
Gabby verstand, dass es sich eher um einen Befehl als um einen Vorschlag handelte. „Was ist los? Die Wache …? Wo ist er?“
„Ich habe Rashid davon überzeugen können, dass Sie keine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit darstellen.“
Zweifelnd schüttelte sie den Kopf. „Und er hat sich ohne Weiteres von Ihnen wegschicken lassen?“
„Vielleicht sollte ich mich vorstellen.“ Ohne den Blickkontakt zu ihr abzubrechen, verbeugte er sich
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