Julia Sommerliebe Band 22
Paul ein Heiliger ist, denn das entspricht absolut nicht der Wahrheit. Und sicherlich denke ich manchmal, dass er den Verstand verloren hat. Aber er ist nicht böswillig oder kriminell veranlagt – überhaupt nicht“, versicherte sie und strich die Seiten glatt, bevor sie sie Rafik überreichte.
Nach einer kurzen Pause nahm er die Papiere entgegen, sah sie jedoch nicht an. Sein Blick war unverändert auf ihr Gesicht gerichtet. Ihr wurde ganz unwohl unter seinem intensiven Blick.
„Wollen Sie nicht einmal hineinsehen?“
„Ich bin sicher, dass Ihr Bruder darin im besten Licht erscheint. Sonst hätten Sie die Unterlagen mir nicht gegeben.“
Gabby wurde immer mutloser. „Wenn Sie mich ohnehin nicht ernst nehmen, warum lassen Sie mich dann meine Zeit verschwenden, indem ich Ihnen all das erzähle?“
„Weil ich wissen wollte, wie viel Ihnen die Freiheit Ihres Bruders wert ist.“
„Ich war also etwas wie eine … Laborratte?“, fragte sie in höflichem Ton, zu dem das kämpferische Glitzern in ihren Augen so gar nicht passen wollte.
Er ließ seinen Blick über ihren Körper wandern, dann zuckte er mit den Schultern. „Ich könnte mir schmeichelhaftere Vergleiche vorstellen“, erwiderte er trocken.
„Ach, wirklich? Sagen Sie’s nicht … Hund? Esel?“ Er, dachte sie, wäre etwas Schlankes, Geschmeidiges und Unberechenbares … ein Panther, vielleicht, obwohl er auch etwas Wölfisches hatte, wenn er wie jetzt lächelnd die Zähne bleckte und seine Augen dabei kalt blieben.
Rafik ging auf ihren Einwurf nicht ein und erklärte: „Ich wollte herausfinden, was Sie alles tun würden, um seine Begnadigung zu erwirken.“ Er hatte jetzt die dunklen Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen und sah ihr prüfend ins Gesicht. „Was würden Sie tun, Miss Barton?“
Gabby schüttelte verwundert den Kopf. „Was ich tun würde? Wie meinen Sie das?“
„Ich meine damit: Welchen Preis wären Sie für die Freiheit Ihres Bruders zu zahlen bereit?“
Jetzt keimte das erste Mal ein Fünkchen Hoffnung in ihr auf. „Wollen Sie mir damit sagen, dass Sie Pauls Freilassung veranlassen könnten?“
„Das könnte ich bewirken.“
„Und, werden Sie es tun?“ Gabby hielt den Atem an. Es erschien ihr wie eine Ewigkeit, bis er endlich antwortete.
„Das ist … verhandelbar.“
Vor Erleichterung zitternd sprang sie auf. Wäre er jemand anders gewesen, hätte sie ihn geküsst. Ihr Blick streifte seinen Mund, und die Bilder, die ihr kamen, verursachten ihr Schmetterlinge im Bauch.
Sie versuchte den Anschein zu erwecken, ihr erneutes Erröten sei auf die Hitze zurückzuführen, und richtete den Blick auf eine Stelle an ihm, die ihre Fantasie vergleichsweise wenig beflügelte. Obwohl auch sein Oberkörper in keiner Weise unansehnlich war.
„Ich würde alles dafür tun“, sagte sie mit fester Stimme.
4. KAPITEL
Die Bedingungslosigkeit ihrer Antwort verursachte Rafik ein schlechtes Gewissen. „Sie sollten sich das gut überlegen“, warnte er Gabby und stand auf.
Er war vollkommen fair – es kam nicht infrage, dass er sie austrickste oder ihre offensichtliche Erschöpfung ausnutzte. Sie könnte auch Nein sagen und gehen. Er würde sie nicht aufhalten.
„Da gibt es nichts zu überlegen. Ich würde all…“
Ihre nachdrückliche Versicherung wurde durch seinen Zeigefinger unterbrochen, den er ihr auf die Lippen legte. Diese Berührung ließ sie nicht nur verstummen, sie schien auch dazu zu führen, dass ihre Glieder ihrem Kopf nicht mehr gehorchten. Sie war wie gelähmt – vor Lust?
Gabby verwarf diese abwegige Theorie gleich wieder. Ganz eindeutig – sie litt an den Folgen von Stress und Überanstrengung. Der Mann war ja nicht einmal ihr Typ.
Warum sagst du dir das eigentlich immer wieder? fragte ihre innere Stimme . Du musst doch niemandem etwas vormachen, am allerwenigsten ihm.
Sie sah dem Prinzen ins Gesicht. Jetzt erst bemerkte sie, wie tief die Falten neben seinen Mundwinkeln waren, wie abgemagert und abgespannt er wirkte.
Sie empfand einen Anflug von Sorge, der sofort wieder verschwand, als ihre Blicke sich trafen. Dieser Mann war der letzte Mensch, der ihr Mitleid brauchte.
„Legen Sie sich nicht fest, bevor Sie den Preis kennen …“ Er nahm den Finger von ihren Lippen und berührte leicht ihre Wange, bevor er die Hand sinken ließ.
Der bedrohliche Unterton seines geheimnisvollen Ratschlages ließen ihr einen Schauer über den Rücken laufen. „Was meinen Sie mit Preis?“, fragte sie
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