Julia Sommerliebe Band 22
Beharrlichkeit, hinzu: „Ich werde sterben.“
„Aber Sie können nicht krank sein. Sie sehen nicht krank aus.“ Noch während sie sprach, bemerkte sie, wie dunkel die Schatten unter seinen Augen waren und wie tief die Linien um seinen Mund sich eingegraben hatten.
„Momentan fühle ich mich auch nicht krank.“ Das, so hatte ihm sein Arzt erklärt, war auch der Grund dafür, dass viele von der Krankheit Betroffene erst dann zum Arzt gingen, wenn es keine Chance mehr auf Heilung gab. Die Erkrankung begann schleichend, und die Anfangssymptome – Müdigkeit, Nachtschweiß und Gewichtsverlust – waren leicht zu missdeuten.
„Aber das ist doch ein gutes Zeichen! Jeden Tag werden weitere Fortschritte im medizinischen Bereich gemacht. Was früher einmal unmöglich schien …“
Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich. „Sobald ich schwächer werde, wird außer gelegentlichen Bluttransfusionen nichts mehr zu machen sein.“
„Wie können Sie das einfach so hinnehmen?“, fragte sie ungläubig. Sie sah Rafik an – er war hochgewachsen und kraftvoll und geradezu die Verkörperung von männlicher Vitalität – und schüttelte den Kopf.
Rafik senkte die Lider, um die Gefühle zu verstecken, die in seinen Augen aufflackerten. Hinnehmen? Glaubte Gabby denn, dass er eine Wahl hatte? Konnte sie sich nicht vorstellen, dass ihm zum Heulen zumute war?
Aber er durfte sich keine Schwäche erlauben, sondern musste sich um die Zukunft seines Landes kümmern. Seine Brust hob sich, als er tief Luft holte. Er musste sich beherrschen, um nicht dem plötzlichen Bedürfnis nachzugeben, Gabby zu schütteln oder zu küssen – oder beides. „Wir alle müssen irgendwann sterben, Gabriella.“
„Ersparen Sie mir bitte solche billigen Ausreden“, bat sie ihn und verdrehte die Augen. Sie war so sehr von ihren Gefühlen ergriffen, dass sie kaum merkte, wie sie ihm sie Hände flach auf die Brust legte. „Ich finde es nicht tapfer, sondern pessimistisch und kläglich, sich so zu verhalten. Warum sind Sie nicht wütend? Wenn es um mich ginge – ich wäre unglaublich wütend!“
Rafik sah auf. „Anscheinend sind Sie wütend.“
Seine Teilnahmslosigkeit machte sie rasend. „Ja, ich bin wütend!“
„Es ist sinnlos, gegen das Schicksal anzukämpfen.“
„Ich bin nicht auf das Schicksal wütend, sondern auf Sie!“, rief sie. „Sie sind so … Sie nehmen das so hin. Wie schwach! Sie müssten kämpfen! Aber Sie tun es nicht.“ Sie drückte die Hände fester gegen seinen Oberkörper und sah ihn direkt an. „Ich fühle Ihr Herz schlagen …“ Im Takt seines Herzschlages klopfte sie auf seine Brust.
Plötzlich und ohne darüber nachzudenken, was sie gerade tat, griff sie mit beiden Händen nach seinem Kopf und zog ihn zu sich hinunter. Während sie ihre zitternden Lippen auf seinen warmen, festen Mund presste, hielt sie die Augen fest geschlossen. Sie konnte spüren, dass ihn ein Schauer überkam, er machte jedoch keine Anstalten, den Druck zu erwidern.
Nach einem Moment zog sie sich zurück. Es geht nicht darum, ihn zu küssen, sagte sie sich, sondern darum, ihm etwas klarzumachen. Zwar war die Methode plump und ziemlich theatralisch, aber sie hatte es getan. Kopfschüttelnd sah sie Rafik an. „Glauben Sie jetzt, dass Sie leben?“
„Sie wollen mich wohl mit Gewalt davon überzeugen“, antwortete er und küsste sie.
Weich und betörend bewegten sich seine Lippen über ihre, die sich öffneten, als er ihre Mundwinkel leicht mit der Zungenspitze nachfuhr. Er nahm die stumme Einladung an und ließ die Zunge tief in ihren Mund gleiten. Seufzend legte er ihr die Hände um die Taille und zog sie fest an sich.
Seine Erregung, die sie deutlich an ihrem Bauch spürte, erfüllte Gabby mit wilder Begierde. Sie bog sich ihm entgegen, während die zunächst zögernden Liebkosungen seiner Zunge immer fordernder wurden.
Unvermittelt hörte Rafik auf.
Er schob sie so plötzlich von sich, dass Gabby fast hingefallen wäre. Sie sah zu ihm auf und wartete darauf, dass ihr Schwindel nachließ. Man konnte doch nach einem solchen Kuss nicht so tun, als sei nichts geschehen!
Aber er tat es. Konnte ein Mann wirklich so schnell abkühlen? Außer seinen leicht geröteten Wangen gab es nichts, das verriet, wie erregt er gerade eben noch gewesen war.
Vielleicht war er es immer noch? Gabby musste ihre gesamte Willenskraft aufbringen, um nicht nach unten zu sehen. Über die Färbung ihrer Wangen hatte sie leider weniger Kontrolle als über ihre
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