Julia Sommerliebe Band 24
eine einfache Studentin wollen, deren Aussehen man höchstens als ganz passabel bezeichnen konnte?
Von Selbstzweifeln überwältigt, wies sie den Bootsmann an, den Motor zu starten.
Dimitri begann zu rennen. „Theos! Geh nicht. Ich will mit dir über das reden, was ich in der Villa gesagt habe.“
„Aber ich will nicht mit dir reden“, rief sie. „Du hast dich ja klar genug ausgedrückt.“
Sie fühlte sich wie eine Närrin, aber eher würde die Hölle zufrieren, als dass sie ihn ihr gebrochenes Herz sehen ließ. Der Motor der Barkasse heulte auf und übertönte Dimitris Erwiderung. Er sah wütend aus, als das Boot vom Steg schoss, und schrie ihr irgendetwas hinterher. Aber über dem Brausen des Windes hörte sie seine Worte nicht mehr und redete sich ein, dass sie ihr egal waren, dass sie sowieso nie wieder mit ihm sprechen wollte.
Als sie damals Eirenne verließ, hatte sie noch nicht gewusst, dass sie ein paar Jahre später dringend mit Dimitri reden musste …
Louise warf sich in ihrem Bett hin und her. Sie setzte sich auf, schüttelte ihre Kissen, ließ sich wieder zurückfallen und wünschte sich, ihre Erinnerungen würden sie endlich nicht mehr derart bombardieren. Müdigkeit überfiel sie, und ihr letzter bewusster Gedanke war, dass sie bald würde aufstehen und zur Arbeit gehen müssen.
Sie war zunächst in einen tiefen Schlaf gefallen, aber gegen Morgen kam der Traum. Sie rannte einen langen Flur entlang. Auf beiden Seiten waren Zimmer, wie die eines Krankenhauses, und in jedem Zimmer lag ein Baby in einer Krippe. Aber nie war es ihr Baby. Jedes Mal, wenn sie eins der Zimmer betrat, war sie voller Hoffnung, dieses Mal würde es das richtige Zimmer sein –, aber jedes Mal blickte das Kind einer anderen zu ihr auf.
Sie rannte ins nächste Zimmer, und ins nächste, wurde immer verzweifelter in ihrer Suche nach ihrem Baby. Sie war schon fast am Ende des Flurs. Nur noch ein Zimmer war übrig. Dort musste ihr Kind sein. Aber das Bettchen war leer – und ihr kam die furchtbare Erkenntnis, dass sie ihr Baby niemals finden würde. Ihr Kind war für immer verloren.
Lieber Gott. Louise fuhr hoch und atmete schluchzend, als wäre sie einen Marathon gelaufen. Es war lange her, dass sie diesen Traum zum letzten Mal gehabt hatte. Und er war so real gewesen, dass es sie nicht überraschte, Tränen auf ihren Wangen zu spüren. Noch Monate nach der Fehlgeburt – drei Wochen, nachdem sie wusste, dass sie Dimitris Kind erwartete – hatte sie im Traum nach ihrem Baby gesucht. Und jedes Mal war sie aufgewacht, so wie jetzt, erfüllt von einer dumpfen Trauer über das kleine Leben, das sie nur so kurz in sich getragen hatte.
Dimitri gestern wiederzusehen, hatte Erinnerungen tief aus ihrem Unterbewusstsein geholt. Sie hatte nie jemandem von dem Baby erzählt und war ganz allein mit dem Verlust fertig geworden. Vielleicht hätte es geholfen, wenn sie sich jemandem hätte anvertrauen können. Aber ihre Mutter war ganz und gar mit ihrer Beziehung zu Kostas beschäftigt, und was Dimitri anging – nun, es war vermutlich besser, dass er nie von seinem Kind erfahren hatte.
Zweifellos wäre er schockiert gewesen. Aber sie würde nie wissen, wie er reagiert hätte. Er hatte sich geweigert, mit ihr zu sprechen, als sie endlich allen Mut zusammengenommen und ihn angerufen hatte, um ihm von den Schwangerschaft zu erzählen. Eine Woche später, als er sie doch noch zurückrief, hatte sie ihr Telefon ausgeschaltet. Es war ihr sinnlos vorgekommen, ihm vom Verlust des Babys zu erzählen. Damals war ihr fast alles sinnlos vorgekommen. Die Wochen und Monate nach der Fehlgeburt waren voller Verzweiflung und Trostlosigkeit gewesen, und sie hatte nur im Bett bleiben und sich vor aller Welt verstecken wollen.
Sie hatte sich eingeredet, dass es ohnehin nicht gut gewesen wäre, ein vaterloses Kind in die Welt zu setzen. Sie wusste zu genau, was es bedeutete, mit nur einem Elternteil aufzuwachsen. Sie wusste um dieses hartnäckige Gefühl des Versagens, weil vielleicht sie der Grund für die Zurückweisung durch ihren Vater gewesen war. Sie hatte alles versucht, sich davon zu überzeugen, dass es so das Beste war. Und doch, selbst jetzt noch, wann immer sie ein Kind von ungefähr sechs Jahren sah, stellte sie sich vor, wie ihr Kind ausgesehen hätte, und wünschte sich, sie hätte ihn oder sie kennenlernen dürfen.
Tränen standen in ihren Augen, und sie blinzelte sie fort. Es war sinnlos, in der Vergangenheit zu verweilen. Sie
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