Julia Sommerliebe Band 24
gesunden Hand einen Kinnhaken verpassen. Apropos Hand: Sie tut weh. Muss ich jetzt sterben?“
„Menschen sterben nur selten an Skorpionstichen.“
„Also kann so ein Stich schon tödlich sein.“
„Ja, aber eher für sehr junge Menschen. Oder für Kranke.“
„Wie beruhigend. Kannst du nicht einfach sagen: Nein, Avery, natürlich wirst du nicht sterben! Warum sagen Männer nie das Richtige?“
„Wenn wir das täten, wären wir Frauen.“ Malik trug sie zum Zelt und legte sie auf den Schlafsack, den er für sich selbst ausgerollt hatte. Als er sich vorsichtig aus ihrer Umklammerung löste, kamen ihre Gesichter einander sehr nahe.
Avery spürte Maliks Atem auf ihrer Wange. Würde sie ihren Kopf jetzt etwas drehen, würden sich ihre Lippen berühren. Wie sich das anfühlte, wusste sie noch – genau wie er.
Ihre Blicke trafen sich. Avery erkannte das Verlangen in Maliks Augen. Das Knistern zwischen ihnen existierte immer noch, genauso mächtig wie früher. Ihre Haut kribbelte, und tief in ihrem Inneren meldete sich ein beinahe schmerzhaftes Ziehen, das sie das Unmögliche wünschen ließ. Seit der Trennung von Malik hatte Avery keinen Mann mehr geküsst. Sie vermisste seine Zärtlichkeiten.
Der Moment schien eine Ewigkeit zu dauern. Gerade wollte Avery ihren Begleiter wegschieben, da wandte er sich von ihr ab und fragte sachlich: „Hattest du je eine besondere Reaktion auf Bienen- oder Wespenstiche?“
Nein. Ich reagiere nur besonders auf dich. Ihr Mund war so trocken, als hätte sie Stunden ohne Wasser in der Wüste verbracht. Die Erkenntnis, dass Malik sie noch immer derart stark anzog, verunsicherte sie fast noch mehr als der Skorpionstich. Avery hasste es, unsicher zu sein. „Keine Ahnung. Bis eben hat mich noch nie ein Tier gestochen.“
„Wie fühlst du dich denn?“
„Meine Hand pocht.“ Sie schaute darauf, weil alles einfacher war, als Malik anzusehen.
Er schob den Ärmel ihres Hemdes zurück, nahm ihre Hand und richtete den Strahl der Taschenlampe auf den Einstich.
Avery spürte seine Finger auf ihrer Haut. Halt still, mahnte sie sich. Malik gehört nicht mehr zu mir, und ich gehöre nicht mehr zu ihm.
Eine glänzende dunkle Strähne fiel ihm in die Stirn. Avery erinnerte sich daran, wie es sich anfühlte, mit ihren Fingern durch seine Haare zu fahren. Früher hatte sie es oft getan. Genauso, wie sie mit den Lippen seine Haut berührt und ihn geschmeckt hatte. Überall.
Als hätte Malik ihre Gedanken gelesen, hob er den Kopf, und Avery zuckte vor lauter schlechtem Gewissen zurück.
Malik betrachtete ihre Hand aus etwas größerer Entfernung. „Ich hätte die ultraviolette Taschenlampe nehmen sollen.“
„Warum?“
„Skorpione haben etwas in ihrem Skelett, das unter ultraviolettem Licht grünlich leuchtet. Auf diese Weise kann man sehen, wo sie sind.“
Seine bronzefarbene Haut auf meiner weißen, schoss es ihr durch den Kopf. Ein Mann so nah an einer Frau … „Woher weißt du das?“
„Dies ist mein Land. Es ist meine Aufgabe, so etwas zu wissen.“
„Grünlich.“ Avery schüttelte sich. „Da ist es mir fast lieber, die Skorpione nicht zu sehen.“
„Wie stark sind die Schmerzen?“
„Schlimmer als Kopfschmerzen, aber leichter als bei meinem Sturz vom Trampolin in der Schule. Damals bin ich mit dem Kopf auf dem Hallenboden gelandet. Würde es dir etwas ausmachen, nicht die Stirn zu runzeln? Stirnrunzeln bedeutet, dass du besorgt bist. Übrigens brennt meine Hand ziemlich. Ist das normal?“
Maliks Blick verfinsterte sich. „Ich hätte dich früher ins Zelt holen sollen.“
„Ich wollte aber nicht.“
„Und den Grund dafür kennen wir beide.“
Da war es schon wieder, das Knistern, das keiner von ihnen wollte.
„Lass uns nicht darüber reden“, bat Avery.
„Du bleibst hier.“ Malik klang verärgert. „Ich bin gleich zurück.“
Instinktiv packte sie Malik am Arm. „Wohin gehst du?“ Hastig ließ sie gleich darauf die Hand wieder sinken.
„Ich will Eiswürfel aus dem Wagen holen.“ Seine Miene zeigte, dass Averys Geste ihn ebenso überraschte wie sie selbst. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Es ist alles in Ordnung, Habibti.“
Habibti. Mein Liebling. Avery saß stocksteif da. Als Malik sie zuletzt so genannt hatte, waren sie nackt gewesen. Im Bett. Ihre Beine um seine geschlungen, sein Mund fordernd auf ihrem.
Malik schien ebenfalls daran zurückzudenken, denn er blickte von Averys Augen zu ihren Lippen und wieder zurück.
Sie schaute
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