Julia Sommerliebe Band 24
Spaziergang durch das Dorf.“
Bonnie folgte den anderen auf der unbefestigten Lehmstraße, die in das kleine Dorf hineinführte. Es war ihr unangenehm, in die Privatsphäre der Bewohner einzudringen, doch diese zeigten sich gänzlich unbeeindruckt und gingen weiter ihren unterschiedlichen Tätigkeiten nach.
Die Siedlung wirkte einfach und zweckmäßig. Einmal mehr wurde Bonnie bewusst, in welchem Luxus sie selbst in ihrem Alltag lebte. Trotzdem wirkten die Bewohner zufrieden. Zwischen den Häusern spielten lachende Kinder. Aus einem Hütteneingang nickte ihnen ein junger Mann zu, der damit beschäftigt war, dünne Bambusstreifen zu einer Matte zu flechten. Ein kleiner Junge, offenbar sein Sohn, ging ihm eifrig zur Hand.
„Wovon leben die Leute hier?“, fragte Bonnie mit gesenkter Stimme.
„Von der Bambusproduktion.“ Er deutete auf die üppigen Sträucher, die den Pfad säumten. „Dewi zum Beispiel ist ein sehr begabter Bambusflechter. Diese Matten werden vor allem im traditionellen Hausbau eingesetzt. Schau dir heute Abend einmal die Decke deines Hotelzimmers an. Mit Sicherheit besteht sie aus geflochtenem Bambus und wurde in einem dieser Dörfer hergestellt.“
Bonnie lächelte dem jungen Balinesen zu. Vor allem der kleine Junge war entzückend. Mit hochkonzentriertem Gesicht versuchte er, die Flechtarbeit seines Vaters zu kopieren.
Harry wechselte mit Dewi ein paar Worte auf Balinesisch und lachte. „Er sagt, wir sollen uns nicht täuschen lassen. Sein Sohn ist nur so lange brav und fleißig, bis er die Lust an der Arbeit verliert. Dann stellt er alle möglichen Dummheiten an.“
„Wo ist seine Mutter?“
Harry deutete auf eine überdachte Fläche etwas weiter die Straße hinauf. „Alle Dorfbewohner haben ihre Aufgabe. Die Männer ernten die Bambusrohre und sägen sie in Hälften und Viertel. Die Frauen zerlegen sie dann weiter in die dünnen Streifen, die Dewi für seine Flechtarbeit benötigt.“
Langsam gingen sie zwischen den Gebäuden hindurch. Die Fotoapparate der Touristen klickten unentwegt, während Harry links und rechts die Dorfbewohner begrüßte. Fast alle schienen ihn zu kennen, riefen ihm einige Worte in der Landessprache zu oder kamen zu ihm, um ihm auf die Schulter zu klopfen.
Bonnie fragte sich, ob er plante, die Insel jemals wieder zu verlassen und in sein altes Leben zurückzukehren, worin auch immer dieses bestehen mochte.
Aber was kümmerte sie das. Es war nicht ihre Aufgabe, ihn zu einem bürgerlichen Leben zu bekehren. Schließlich war er nicht mehr als eine Urlaubsbekanntschaft. Trotzdem hätte sie zu gerne einen Blick in seine Seele geworfen und erfahren, welches dunkle Geheimnis er mit sich herumschleppte. Doch diese Gedanken führten zu nichts.
Sie konzentrierte sich wieder auf ihren Rundgang und betrachtete eine einzelne Kuh in einem überdachten Holzverschlag, die Harry zufolge den kostbarsten Besitz der Familie darstellte. Die Kuh blickte sie aus lang bewimperten Augen an und käute friedlich wieder. Offenbar war es ein glückliches Tier. Neben ihrem Bretterverschlag befand sich ein Schweinestall. Ein Stück weiter scheuchte ein Hahn einige Hennen durch die Straße.
Wayan erklärte ihnen einiges über das Familienleben und die dörflichen Traditionen, und Harry ergänzte seine Ausführungen für Bonnie: „Die Balinesen nehmen ihre Rituale sehr ernst. Für eine traditionelle Einäscherung muss eine Familie zum Beispiel oft mehrere Jahre lang sparen – ebenso wie für die Kuh.“
„Und was geschieht, wenn die Familie die Summe nicht gleich aufbringen kann?“, fragte Bonnie neugierig.
„Dann wird der Verstorbene zunächst provisorisch begraben. Nach einem oder zwei Jahren findet dann die richtige Beisetzung statt. Manchmal teilen sich auch mehrere Familien die Kosten für den Bestatter. In jedem Fall ist die Einäscherung ein unverzichtbarer Bestandteil ihres Ahnenkults.“
Wieder blieb er stehen, um einige Worte mit einem jungen Mann zu wechseln. Bonnie blickte sich um und entdeckte eine hochschwangere junge Balinesin, die in einem Hauseingang kauerte und eine Ingwerknolle schälte.
Etwas an ihrer Haltung irritierte Bonnie. Der Nacken der Frau wirkte merkwürdig steif. Alle paar Minuten verzog sie das Gesicht und warf einen besorgten Blick auf ihren geschwollenen Unterleib.
Bonnie zögerte kurz und schlenderte dann zu der Frau hinüber, die ihr mit einem Kopfschütteln bedeutete, dass kein Grund zur Sorge bestand. Doch Bonnie war sich da nicht so sicher.
Weitere Kostenlose Bücher